Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 442 / Juni 2024

Zwischennutzung in der Verwertungsspirale

Kurzfristige Vermietungen von leerstehenden Büroimmobilien als Ateliers bringen Künstler/innen bestenfalls eine Atempause

Von Nicolas Šustr

Von wegen Kreative hätten es nicht so mit der Pünktlichkeit. Bereits rund 20 Minuten vor Beginn der Besichtigung des leerstehenden Bürogebäudes an der Moll-, Ecke Torstraße in Mitte hat sich dort ein Dutzend Menschen versammelt, bis Lorenzo Kettmeir schließlich die Eingangstüren öffnet. „Willkommen. Sie können sich im gesamten Gebäude frei bewegen“ , sagt er zur Begrüßung.        

Sofort werden die kleinen Fahrstühle gestürmt. Im 9. und damit höchsten Stockwerk öffnet sich ein Panorama auf die Alt- und Plattenbauten von Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Direkt gegenüber liegt an der Kreuzung das elitäre „Soho House“. Ein Club für die Schönen und Reichen, wo bis 1990 das Institut für Marxismus-Leninismus saß. 

Etwas profaner ging es im leerstehenden Büroriegel zu. Zu DDR-Zeiten wurde es für die staatliche Nachrichtenagentur ADN gebaut, zuletzt saßen hier Digitalunternehmen des Autokonzerns VW, wovon noch Sinnsprüche an den Wänden der leergeräumten Büros zeigen. „We transform automotove mobility“, heißt es da beispielsweise – „Wir transformieren die Automobilität“. Doch die Aufmerksamkeit der Besucher/innen gilt den weißen Zetteln, die auf den Türen kleben. Das fast 200 qm große Eckbüro mit bodentiefen Fenstern im 9. Stock wird da für 2.600 Euro pro Monat angeboten – inklusive Heizung, Betriebskosten, Strom und Internet.

28 nicht durch Wände abgeteilte Quadratmeter der Riesenräume im angrenzenden Flachbau werden bereits für 50 Euro monatlich angeboten, die Fläche wird dementsprechend „Ateliergemeinschaft“ getauft. Dazu kommen 19% Umsatzsteuer, als Kaution werden drei Monatsmieten verlangt.

Natürlich hat die Sache einen Haken: Es sind nur Zwischenmieten, zunächst begrenzt auf den Zeitraum bis Ende Januar 2025. Vermieter ist das Schweizer Unternehmen „Projekt Interim“. Das geschieht im Auftrag des Gebäudeeigentümers, der Londoner Vermögensverwaltungsgesellschaft Schroders, die das Haus ab Februar nächsten Jahres umbauen will.  „Unser primäres Ziel ist, den Eigentümer zu entlasten“, sagt Lorenzo Kettmeir von Projekt Interim zum MieterEcho. Denn während des in Planungsphasen üblichen Leerstands fielen weiter Kosten an, für Bewachung und Betrieb des Gebäudes. Es gehe nicht unbedingt darum, einem bisher anonymen Gebäude mit der Zwischennutzung durch Künstler/innen einen Namen zu geben und so den Marktwert zu steigern, erklärt er.

Es fehlt die Planungssicherheit

Doch auch er tippt das Thema der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen an. Es sei sinnvoller, ein Gebäude zwischenzunutzen, als es neun Monate leerstehen zu lassen. „Ich freue mich, wenn viele junge Leute mit kreativen Ideen hierherkommen, um ihre Projekte umzusetzen“, sagt Kettmeir. Seit 2010 organisiert sein Unternehmen in der Schweiz Zwischenvermietungen, 2023 expandierte Projekt Interim nach Deutschland und Österreich. Das Berliner Haus Mollstraße 1 ist das erste Vorhaben, das hierzulande umgesetzt wird, es gebe Gespräche über weitere, „aber es ist noch nichts davon sattelfest“.

Können solche Projekte Berliner Künstler/innen angesichts der Ateliernot helfen? Der Berliner Atelierbeauftrage Lennart Siebert glaubt das nicht. „Wer professionell arbeitet, braucht eine gewisse Planungssicherheit. Dafür bräuchte man Mietverträge, die mindestens zehn Jahre laufen“, sagt Siebert zum MieterEcho. Er zweifelt auch daran, dass das Gebäude die Voraussetzungen bietet, um beispielsweise Material und fertige Kunstwerke in die und aus den Arbeitsräumen zu transportieren. Und wie soll die Arbeit im Großraum aussehen, wenn beispielsweise eine Metallkünstlerin laute Arbeiten durchführt, während jemand anderes mit Lacken und deren giftigen Ausdünstungen arbeitet?

„Wenn Immobilienunternehmen damit werben, mit Kreativnutzungen Werte zu schaffen, wird mir ganz schwummrig“, sagt Siebert. Da werde versucht, aus der Retorte Prozesse nachzuahmen, wie sie nach der Wende in Berlin häufig geschahen. „Wir haben uns damals die Räume genommen und die Projekte sind dann über Jahre gewachsen“, sagt er. Die Ateliernot in Berlin sei so groß wie nie. „Allein die bis April gefassten Sparbeschlüsse des Senats kosten bereits 120 Räume“, so Siebert.

 

Nicolas Šustr ist Sprecher des Umweltverbands BUND Berlin.


MieterEcho 442 / Juni 2024

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