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MieterEcho 443 / August 2024

Schluss mit der Preußenverherrlichung

Die Initiative Schlossaneignung will die bewegte Geschichte des Stadtschlosses in der Fassade sichtbar machen

Von Lutz Schöbel

Fast vier Jahre nach der Fertigstellung der Rekonstruktion ist die Debatte über das preußische Stadtschloss in Berlins historischer Mitte alles andere als abgerissen. Wieder einmal geht es um die Fassade. Die „Initiative Schlossaneignung” fordert nun, die „Preußenverherrlichung aufzubrechen” und die verdrängte Geschichte des Schlossstandorts künstlerisch in die Fassade einzuschreiben.

Wie etwa die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg – rund 30 Meter breit und 15 Meter hoch war das Loch, das eine Brandbombe der US-Air Force am 3. Februar 1945 hinterlassen hatte. Auf historischen Aufnahmen ist die ausgebrannte Kuppel des Berliner Stadtschlosses zu sehen. In Computersimulationen der Initiative ist diese Stelle nun – wie auch andere Einschläge von Fliegerbomben am Berliner Stadtschloss – schwarz eingefärbt. Es sind geschichtliche Spuren, die heute an der rekonstruierten Schlossfassade nicht mehr ablesbar sind. 

Die Zerstörung im Krieg ist aber nicht der einzige geschichtliche Umbruch, der mit der Rekonstruktion des 1701 als Hauptresidenz der Hohenzollern errichteten Schlosses ausgeklammert wird. „In der äußeren Erscheinung verweist nichts auf die Zeit vor 1701 und nichts auf die Zeit nach 1918“, schreibt die Initiative in ihrem Aufruf. 

So erfahre man nichts von den Bürgerprotesten im 15. Jahrhundert, bei denen das für den Bau des ursprünglichen Schlosses benötigte Stauwehr beschädigt und so die Baustelle des Schlosses unter Wasser gesetzt wurde. Auch der Barrikadenbau vor dem Schloss während der Märzrevolution 1848 oder der Sturm auf das Schloss im Zuge der Novemberrevolution 1918 würden an dem geschichtsträchtigen Ort nicht thematisiert, kritisiert die Initiative. Ganz zu schweigen von der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, der Sprengung des Schlosses und dem Bau des Palasts der Republik, der hier ab 1976 stand und schließlich der Rekonstruktion weichen musste. 

Die Initiative Schlossaneignung will diese Geschichte nun sichtbar machen. Entstanden ist sie als Zusammenschluss von Architekt/innen, die die Rekonstruktion in Berlins historischer Mitte schon lange kritisch kommentieren. Philipp Oswalt, der das rechte Spendernetzwerk hinter dem Wiederaufbau des Schlosses offengelegt hat, ist Teil der Initiative, aber auch der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer oder der Autor Max Czollek.

Ideenwettbewerb für Umgestaltung

Mit einem Ideenaufruf hat die Initiative Künstler dazu eingeladen, Vorschläge einzureichen, mit denen die bisher verdrängte Geschichte sichtbar werden soll. „Wir wollen der Stadtgesellschaft die Möglichkeit geben, sich zumindest nach der Errichtung künstlerisch an der Gestaltung zu beteiligen”, sagt Silke Neumann von der Initiative zum MieterEcho. Das könnten am Ende nicht nur Arbeiten an der Fassade sein, sondern beispielsweise auch eine Performance, die sich mit der Geschichte des Schlossstandortes auseinandersetzt. 

Wie die Ideen konkret aussehen, das wollte vorläufig niemand dem MieterEcho verraten. Am 10. Oktober sollen die Arbeiten in den Räumen der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst vorgestellt werden. Um Fassaden ging es auch schon 2004, als mit dem „Volkspalast” die Zwischennutzung des zum Abriss freigegebenen Palasts der Republik gestaltet wurde. In diesem Jahr wurde der Palast auf Betreiben der damit beauftragten Künstlergruppe „Raumlabor“ geflutet. In Schlauchbooten konnten Besucher auf Sightseeingtour durch eine labyrinthische Fassadenstadt gehen. Zum Entwerfen von Fassaden wurde damals aufgerufen, die in der Performance der Fassadenrepublik nach dem Gusto der Besucher zum Abriss freigegeben werden konnten. 

20 Jahre später ist der Berliner Fassadenstreit längst nicht beigelegt. „Es geht uns darum, den Widerspruch zwischen dem historisierenden Schloss und der Historie des Ortes, die mit der Rekonstruktion unsichtbar gemacht wurde, aufzuzeigen”, sagt Silke Neumann von der Initiative Schlossaneignung. Sie betont, dass es der Initiative um den Dialog gehe. Ob deren Vorschläge am Ende auch umgesetzt werden, ist aber mehr als fraglich. „Wenn allerdings das Humboldt-Forum schlau ist, werden sie unsere in ihre Arbeit einbeziehen“, meint Neumann. Die Vorschläge aus dem Ideenwettbewerb der Initiative Schlossaneignung wären dafür eine gute Gelegenheit.


MieterEcho 443 / August 2024