Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 442 / Juni 2024

Roter Teppich für private Investoren

Die Krankenhausreform wird das Kliniksterben befeuern und die Versorgung in der Fläche weiter verschlechtern

Von Jorinde Schulz und Laura Valentukeviciute

Die Krankenhausreform befindet sich auf den letzten Metern. Im Schweinsgalopp will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach das Gesetz noch vor der Sommerpause durch Bundestag und Bundesrat jagen. Es ist ein Gesetzesvorhaben, welches das grassierende Kliniksterben und die fortschreitende Privatisierung des Gesundheitswesens noch verschärfen wird.       

Fast anderthalb Jahre nach Lauterbachs Ankündigung einer Jahrhundertreform für die Krankenhäuser hat sich seine „Revolution“ endgültig als Farce entpuppt. Selbst die vehementesten Befürworter/innen haben mittlerweile zugegeben, dass vor allem eines bevorsteht: Krankenhausschließungen. Wichtigster Hebel ist dabei die Einführung der sogenannten sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen. In den ersten Entwürfen hießen diese noch Level 1i-Krankenhäuser. Nachdem Kritiker/innen klarstellten, dass es sich mitnichten um Krankenhäuser handelt, wurde die Bezeichnung stillschweigend geändert. Der Kern des Problems bleibt jedoch bestehen: Diese Einrichtungen, die keine Notfallversorgung und auch keine durchgängige ärztliche Betreuung bieten, können Krankenhäuser nicht ersetzen. Berechnungen einer Beratungsfirma im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums ergeben, dass rund 350 Krankenhäusern eine solche Herabstufung droht.

Auch die beiden anderen Kernbestandteile der Reform, die Einführung von Leistungsgruppen und Vorhaltepauschalen, erweisen sich als Schließungsinstrumente. Um zukünftig eine bestimmte Behandlung anbieten zu dürfen, muss einem Krankenhaus die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt werden. Für diese gelten jedoch rigide Strukturkriterien, insbesondere Mengenvorgaben. Diese sollen die Qualität verbessern. Erfüllt das Krankenhaus die Vorgaben nicht, wird ihm die Leistungsgruppe einfach entzogen – und damit auch das entsprechende medizinische Angebot. 

Privatisierungskurs wird fortgeschrieben

Die als Rettung der Grundversorgung und kleinerer Krankenhäuser angekündigte „Vorhaltefinanzierung“ entlarvt sich ebenfalls als Etikettenschwindel. Versprochen wurde, dass Krankenhäusern diejenigen Kosten finanziert werden, die ihnen unabhängig von der Anzahl getätigter Behandlungen für Personal und Ausstattung entstehen. Aber von Kostendeckung kann keine Rede sein. Die Höhe der Vorhaltepauschalen ist an die Fallpauschalen-Erlöse und damit an Fallzahlen gekoppelt. Zudem ist das Budget insgesamt gedeckelt. Je weniger Krankenhäuser eine Leistungsgruppe anbieten, desto mehr Geld gibt es über die Vorhaltepauschalen für die verbleibenden Häuser. Die Bundesländer können sich zwischen Pest und Cholera entscheiden: Verteilen sie die Leistungsgruppen auf möglichst wenige Krankenhäuser, müssen die anderen schließen oder ihr Angebot einschränken. Verteilen sie die Leistungsgruppen wiederum an viele Häuser, gibt es pro Haus zu wenig Geld – auch so sind Schließungen programmiert. 

Wenn mit Lauterbachs Krankenhausreform nun Hunderte Krankenhäuser schließen sollen, ist das kein Neuanfang, sondern die Fortsetzung der bisherigen Politik. Die Zahl der Krankenhäuser sank zwischen 1991 und 2021 um 22% – rund 550 Häuser. Das Jahr 2023 hält mit 24 Klinikschließungen einen traurigen Rekord. Aktuell bedrohen Schließungsvorhaben rund 100 Kliniken. Dem Kahlschlag fällt vor allem die Grundversorgung zum Opfer. Besonders eindrücklich zeigt sich das an der Situation der Geburtshilfe. Gegenwärtig bietet nur ein Drittel der Krankenhäuser Geburtshilfe an, 1991 konnten Schwangere noch in fast der Hälfte der Krankenhäuser gebären. Die Anzahl der Kreißsäle hat sich seit damals halbiert. Verdoppelt hingegen hat sich der Anteil von Kaiserschnitten. Sie sind leichter planbar und werden besser vergütet als normale Geburten. 

Vielerorts wehren sich Bürgerinitiativen gegen die Reformpläne. Sie zeigen die dramatischen Folgen für die betroffenen Regionen auf: Notfälle werden schlechter versorgt, die verbleibenden Krankenhäuser leiden unter Überlastung, Arbeitsplätze fallen weg. Auch die Krankenhausbeschäftigten begehren auf. Sie fordern Entlastung und die Abschaffung der Fallpauschalenfinanzierung. Denn seit deren Einführung verdichtet sich die Arbeit unablässig. 

In einem Schwarzbuch liefern Beschäftigte verstörende Berichte, wie Patient/innen aufgrund der Personalnot gefährlich vernachlässigt oder fehlbehandelt werden. Sie nennen es „die alltäglichen Grausamkeiten deutscher Krankenhäuser“. Und sie benennen die Ursache: Statt guter Versorgung steht das Geld im Vordergrund. Genau das ist auch die Ursache der Klinikschließungen. Das aktuelle Finanzierungsmodell zwingt die Krankenhäuser dazu, nicht etwa das anzubieten, was gebraucht wird, sondern das, was sich rechnet. Das System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG – Diagnosis Related Groups) ist so eingerichtet, dass Grundversorgung sich nicht lohnt. Deswegen fallen kleine Krankenhäuser auf dem Land und in strukturschwachen Regionen, Geburtshilfen und Kinderkliniken den Schließungen zum Opfer. Behandlungen wiederum, die mit Einsatz von Technik wie am Fließband geplant und durchgeführt werden können, sind lukrativ und daher erwünscht. So wird das Krankenhaus zur Fabrik – Krankenhauskonzerne profitieren auf dem Rücken von Personal und Patient/innen.

Während Grund- und Notfallversorgung immer lückenhafter werden, besteht Überversorgung in den lukrativen Fachbereichen. So stieg die Zahl der Knieersatzoperationen seit 2005 um 54%. Überwiegend private Fachkliniken treiben diese Entwicklung voran. Auch von Investoren betriebene ambulante Medizinische Versorgungszentren (MVZ) breiten sich in diesen lukrativen Bereichen aus. Die am tatsächlichen Bedarf orientierte Versorgung ist für sie Nebensache.

Die aktuellen Missstände gehören also zu einem Privatisierungsschub im Gesundheitswesen, der in den 1990ern begann. Im Jahr 2022 befanden sich schon 39% der Allgemeinkrankenhäuser in privater Hand, 1991 waren es nur 15%. Dagegen sank der Anteil der Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft in diesem Zeitraum von 46 auf 29%. Der Rest verteilt sich auf diverse gemeinnützige Träger. Die öffentlichen Kliniken stellen allerdings nach wie vor die meisten Betten zur Verfügung, fast 50%.

Es drohen große Versorgungslücken

Die Gesundheitspolitik hat den Privaten den roten Teppich ausgerollt. Seit 1985 ist es erlaubt, mit dem Betrieb von Krankenhäusern Gewinne zu erwirtschaften und sie zu entnehmen. Für Investitionen sind nicht sie selbst, sondern die Länder verantwortlich, ihre Profite ziehen sie aus den Krankenkassenbeiträgen der Patient/innen und der Arbeitsverdichtung in den Kliniken. Bund und Länder fördern die Privatisierung auch, indem sie Gelder für die Schließung von Kliniken zur Verfügung stellen. Die öffentlich subventionierte Strukturbereinigung stärkt die Privaten, die ihr Geschäftsmodell auf spezialisierte Fachkliniken und Zentralisierung hin optimieren.

Diese Politik verharmlost oder ignoriert die Belange derer, die die gefährlichen Missstände anprangern: die Betroffenen vor Ort. Um zu beschwichtigen, werden ihnen bei einer Schließung häufig Ersatzmaßnahmen versprochen, zum Beispiel ein Gesundheitszentrum oder ein Ärztehaus. Eine aktuelle Untersuchung des Bündnis Klinikrettung zeigt jedoch, dass die entstandenen Lücken in der Versorgung kaum kompensiert werden. Bei 77% der untersuchten Schließungen gingen die Betten vollständig verloren, nur in 5% der Fälle wurden alle Betten erhalten – aber nicht vor Ort. Und bei 32% der Schließungen wurde der Verlust der medizinischen Versorgung auch durch keine andere Ersatzmaßnahme, beispielsweise eine ambulante Einrichtung, ausgeglichen. In einem Drittel der Fälle fiel die Versorgung also nach der Schließung komplett weg. Es ist dieses Szenario, das sich mit der Krankenhausreform weiter auszubreiten droht. 

Ob Personalnot und Ausbeutung, Schließungen und Abbau der Grundversorgung oder Vernachlässigung der Patient/innen: Die gemeinsame Ursache der Missstände in unseren Krankenhäusern ist die Privatisierung des Gesundheitswesens. Um diese einzudämmen, gilt es an die strukturellen Ursachen zu gehen: Das DRG-System muss weg, stattdessen braucht es eine kostendeckende Finanzierung für die Krankenhäuser. Mit der Selbstkostendeckung sind auch keine Gewinne mehr möglich – ein dringend notwendiger Renditestopp. Und anstatt wie jetzt die Krankenhausplanung nach Gewinnmöglichkeiten zu organisieren, braucht es eine demokratische Bedarfsplanung – mit Beschäftigten und Betroffenen. Dieser Kampf geht uns alle an.

 

Jorinde Schulz und Laura Valentukeviciute arbeiten für die Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB). www.gemeingut.org/infothek/audiovideo


MieterEcho 442 / Juni 2024

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