Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 443 / August 2024

Netzwerken für den Stuck

Berliner Altstadtlobbyisten wähnen sich von Verschwörungstheorien denunziert

Von Nicolas Šustr

„Und plötzlich ist das Team Frankfurter Altstadt komplett“ , entfährt es einem mit den Entwicklungen um die Bebauung des Molkenmarkts Vertrauten im Gespräch. An der Verblüffung, wer die Ausschreibung für das Gestaltungshandbuch für die dort zu errichtenden Gebäude gewonnen hat, hat sich bei ihm auch Wochen später nichts geändert. Es ist der Architekt Christoph Mäckler, ein bekannter Vertreter der deutschen Szene der Altstadtfreunde, die bundesweit für historisierende Rekonstruktionen in Innenstädten lobbyiert.

Mäckler und Berlins Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) saßen gemeinsam im Gestaltungsbeirat für die historisierende Rekonstruktion von Teilen der Altstadt von Frankfurt am Main. Auch Linke-Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg war irritiert von der Entscheidung und hakte im Bauausschuss im Abgeordnetenhaus nach, „wie dieses sogenannte Vergabeverfahren aufgebaut war und vor allem, welche Personen im Entscheidungsgremium saßen“. Bausenator Christian Gaebler (SPD) ließ wissen, dass „auf Verwaltungsebene entschieden worden ist“, ohne Beteiligung der Senatsbaudirektorin. „Wenn ich jetzt sagen würde, wenn jemand mit irgendjemandem schon mal zusammengearbeitet hat, dann schließt man ihn vom Vergabeverfahren aus, wäre das ein Wettbewerbsrechtsverstoß“, unterstrich er. Insofern verstehe er an der Stelle „nicht ganz, worauf Sie hinaus wollen“.

Nicht nur Gennburg ist überzeugt, dass ein Netzwerk agiert, um Projekte für historisierende Altstadtrekonstruktionen voranzutreiben. „Dieses Netzwerk betreibt genau so eine Vetternwirtschaft, die zur Berliner Bankenkrise geführt hat. Und es arbeitet nicht nur in Berlin, sondern ist auch bei den anderen Rekonstruktionsdebatten sichtbar und aktiv“, sagt sie zum MieterEcho. Etwa in Frankfurt am Main, Potsdam und Dresden. „Ein prominenter Player ist Christoph Mäckler mit seinem Institut für Stadtbaukunst“, so Gennburg weiter.

Lobbyisten beklagen „abwegige Vorwürfe“

Im Vorstand der Fördergesellschaft des AN-Instituts der Technischen Universität Dortmund sitzt auch der Berliner Architekt Tobias Nöfer, wohlbekannt als Vorsitzender des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin-Brandenburg (AIV). Ebenso der einstige Senatsbaudirektor Hans Stimmann, dessen „Planwerk Innenstadt“ nach der Wende die Grundlage für den systematischen Wiederaufbau des Berliner Vorkriegs-Stadtgrundrisses legte. Im Beirat sitzt auch der Stadtplaner und Sozialwissenschaftler Harald Bodenschatz, der wie Stimmann auch Ämter im AIV hat.

Nöfer und Bodenschatz engagieren sich auch in der im Bürgerforum Berlin aufgegangenen Planungsgruppe Stadtkern, der bis 2021 auch Senatsbaudirektorin Kahlfeldt angehörte. Sie ist wiederum auch Mitglied im Kuratorium des AIV.

Ein exponierter Altstadt-Aktivist ist auch der Historiker Benedikt Goebel, der ebenfalls der Planungsgruppe Stadtkern angehört. Mit Geld der ehemaligen Unternehmerin Marie-Luise Schwarz-Schilling gründete Goebel die besonders rührige „Stiftung Mitte Berlin“. Zudem ist er Mitglied in der Ortsgruppe Berlin der Rekonstruktionsfans des Vereins Stadtbild Deutschland und Beisitzer im AIV.

Goebel zeigte sich zunächst offen, dem MieterEcho Fragen zu den Netzwerk-Vorwürfen zu beantworten, reagierte dann aber nicht mehr. Nöfer und Bodenschatz waren aber dazu bereit. Er sehe nicht, was dem AIV überhaupt vorzuwerfen wäre, so Nöfer. Es sei wichtig, dass sich die Zivilgesellschaft fachlich einmische, organisiert in verschiedenen Strukturen. „Leider werden aber Verschwörungstheorien konstruiert, die nicht der Wirklichkeit entsprechen“. Schlimm findet Nöfer, dass damit die Menschen gegeneinander aufgebracht würden, was er „angesichts einer immer stärker gespaltenen Gesellschaft für gefährlich halte.“ Bei der Diskussion am Molkenmarkt gehe es „kaum noch um die Sache, sondern zunehmend um eine weltanschauliche Deutungshoheit“, so der Architekt. „Die Vorstellung eines kleinparzellierten, Straßen und Plätze bildenden Städtebaus mit unterschiedlichsten Bauherren und Bauten halten manche offenbar für politisch rechts. Das ist definitiv absurd: offenbar soll es aus politischen Gründen keine Vielfalt geben. Ich halte diese Idee für veraltet und aus dem letzten Jahrhundert“, sagt Nöfer. 

Auch Bodenschatz wehrt sich vehement gegen die Vorwürfe: „Es ist auf jeder Seite so: Man kennt Leute und hat Beziehungen, mehr oder weniger stark. Das ist ein völlig normaler Vorgang. Daraus einen vereinfachenden Verschwörungsmythos zu stricken, ist absurd und wird dem widersprüchlichen Geflecht der Kommunikationswege nicht gerecht“. Diese ganze Lagerbildung über fachliche Dinge halte er „für total kontraproduktiv, gerade in der aktuellen politischen Lage mit dem immer weiter erstarkenden Rechtsradikalismus.“ Persönlich sehe er sich „überhaupt nicht einem Lager zugehörig, sondern als jemand, der versucht, Brücken zu bauen.“ Es sei richtig, dass man unterschiedliche Meinungen habe und darüber im Gespräch bleiben müsse. „Aber es sind fachliche Meinungen. Diese in rechts und links einzutüten, ist abwegig“, so Bodenschatz.

Für Nöfer ist klar: „Wir werden am Molkenmarkt nicht die Berliner Wohnungskrise lösen. Das ist in dieser Hinsicht ein Tropfen auf dem heißen Stein.“ Natürlich müssten auch Sozialwohnungen entstehen. Allerdings brauche ein „lebendiges Quartier“ eine „Mischung und deswegen nicht nur sozialen Wohnungsbau, sondern zum Beispiel auch Angebote für den Mittelstand, wie etwa für Verwaltungsbeamte“. „Sehr traurig“ finde er die „Vorstellungen einiger, dass gut gestaltete Fassaden vermieden werden sollten, denn das würde die Kosten erhöhen“. Und auch das Vorhaben, „riesige Häuser mit wenigen Treppen aus Spargründen“ zu errichten, wende sich „gegen die Menschen, die dort wohnen sollen“.

Unter diesen Voraussetzungen dürfte es allerdings selbst für gutverdienende Verwaltungsangestellte schwer werden, sich freifinanzierte Wohnungen dort leisten zu können. In den kleinteiligen Nachbauten historischer Häuser beim Projekt „Dom-Römer“ in Frankfurt am Main „musste oft ein zweiter Fluchtweg eingebaut werden, was von historischen 200 Quadratmetern auch mal nur 80 Quadratmeter Wohnfläche übrigließ“, berichtete die „Bauwelt“ vor einigen Jahren.    

Recht auf Stadt für alle durchsetzen

„Dass es nicht um links und rechts gehe, sondern um die vermeintlich technische Frage von Architektur und Städtebau, ist ein ganz fauler Trick“, kommentiert Katalin Gennburg die Äußerungen von Nöfer und Bodenschatz. Dieser Trick diene aber „nur dazu, den Kernkonflikt zu verschleiern, nämlich die Eigentumsfrage“. Dass sich „konservative und rechte Eliten an einer bestimmten Form von Architekturstil bedienen und mit der Verwertung und Gentrifizierung von Stadtvierteln viel Geld verdienen, ist nun mal eine historische Wahrheit.“ Sie arbeiteten damit gegen das erklärte Ziel des Städtebaus der Moderne, dass in einer Stadt „alle Menschen gut und sicher leben können sollen und Menschen nicht aus ihren Stadtvierteln verdrängt werden für Immobilienplanung und Kapitalverwertung“.

Dabei gehe es „eben nicht um die Frage, ob man irgendwelchen Lagern angehören möchte, sondern man muss sich entscheiden, ob man soziale Sicherheit und für die Menschen billigen Wohnraum schafft“, sagt die Linken-Politikerin. „Denn aus linker Perspektive geht es darum, das Recht auf Stadt für alle durchzusetzen – und nicht eine Stadt für Bonzen, wo es ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Stadtteile gibt, als quasi ‚natürliches‘ Abbild der himmelschreienden Ungerechtigkeiten im Kapitalismus. Da kann man keine Brücke bauen“, unterstreicht sie.

Zumal die Gewährleistung der Versorgung mit leistbarem Wohnraum für alle der beklagten Polarisierung der Gesellschaft nach Gennburgs Überzeugung „ganz stark entgegenwirken“ würde. „Das könnte dem Rechtsradikalismus ganz viel Boden entziehen – in doppelter Hinsicht: Den rechten Geldeliten die Verwertungsmöglichkeiten und damit auch der massenhaften Verarmung von Menschen durch Mietenwahnsinn und Eigentumsfetisch.“

Auch der bekannte Berliner Architekt Matthias Sauerbruch fand in einer Diskussion zum Rekonstruktionsprojekt in Frankfurt am Main klare Worte: „Schönheit ist ein Instrument des Immobilien- beziehungsweise Finanzmarktes“. Die Stadt musste dort viele Millionen Euro zuschießen, damit am Ende sündteure Eigentumswohnungen entstehen. Gleichzeitig lag der soziale Wohnungsbau brach.


MieterEcho 443 / August 2024

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