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MieterEcho 441 / Juni 2024

Mietwucher in Berlin eindämmen und verfolgen

 

Interview mit Niklas Schenker

MieterEcho: Wir haben in Berlin nicht nur einen Wohnungsnotstand, sondern auch einen Mietnotstand, weil die Vermieter ersteren ausnutzen – wie können wir dem Herr werden?

Niklas Schenker: Die Berliner Mieterinnen und Mieter zahlen zu viel Miete. Viele sind von hohen Mieten überfordert. Wir brauchen Instrumente, um das zu ändern. Die Mietpreisbremse ist oft wenig hilfreich und wenig wirkungsvoll, aber die Bundesregierung weigert sich, diese zu verschärfen. Der Berliner Mietendeckel war zwar erfolgreich, aber wurde vom Bundesverfassungsgericht bekanntlich gekippt. Wir brauchen den Mietendeckel zurück. Aber auch hier mauert der Bund. Die Ampel ist einfach ein mietenpolitischer Totalausfall.

Welche Möglichkeiten gäbe es denn noch jenseits des Mietendeckels?

Nach § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes (WiStG) handelt ordnungswidrig, wer eine Wohnung zu einer Miete vermietet, die 20% oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete aus dem Mietspiegel liegt. Man braucht nur eine Immobilienplattform aufzurufen, um schnell zu merken, dass eine Vielzahl der derzeit angebotenen Mieten sehr weit darüber liegen. Anfang der 2000er Jahre gab es eine gerichtliche Grundsatzentscheidung, wonach Vermieterinnen und Vermieter für „Mietwucher“ nur belangt werden dürfen, wenn ihnen nachgewiesen wird, dass sie ein geringes Mietwohnungsangebot konkret ausgenutzt hätten. Diese Ausnutzung der Notlage lässt sich aber oft nur schwer nachweisen, weshalb das Instrument aktuell in kaum einer Kommune Anwendung findet. Der Rechtsausschuss des Bundestages hat sich erst vor wenigen Wochen mit dem Instrument beschäftigt, aber es ist nicht zu erwarten, dass der Bund das Instrument verbessern wird. Doch es lohnt der Blick nach Frankfurt am Main. Dort wird seit einigen Jahren erfolgreich gegen sogenannten „Mietwucher“ vorgegangen.

Was können wir aus Hessen denn lernen?

Die Erfahrungen aus Frankfurt am Main zeigen, dass die Verfolgung von Mietwucher gemäß § 5 WiStG auch nach derzeit geltender Rechtslage und Rechtsprechung durchaus möglich ist. Wenn der Verdacht besteht, dass Mieten das erlaubte Maß um mehr als 20% überschreiten, wird das dortige Wohnungsamt aktiv und leitet ein Verfahren ein. Dann können letztlich Bußgelder eingetrieben und überhöhte Mieten an die Betroffenen zurückgezahlt werden. Allein seit 2020 wurden knapp 1.400 Verfahren gegen Mietwucher geführt. Es wurden 321.000 Euro an Strafen festgesetzt und 420.000 Euro an Rückzahlungen an Mieterinnen und Mieter durchgesetzt. Die Stadt will so erreichen, dass Wohnen für breite Schichten der Bevölkerung erschwinglich bleibt, auch wenn die Nachfrage im Verhältnis zum Wohnungsangebot nicht ausgeglichen ist. Das ist im Ballungsraum Frankfurt regelmäßig der Fall – und in anderen Großstädten wie Hamburg, München oder Berlin auch.

Wie setzt man das in Frankfurt/Main konkret um?

Das Verfahren ist aufwendig. Das Frankfurter Wohnungsamt führt eine umfassende „Zeugenbefragung“ durch. Das bedeutet, dass die Mieterinnen und Mieter einen ausführlichen Fragebogen ausfüllen müssen, in dem sie zum Beispiel angeben müssen, über welche Inserate auf Immobilienplattformen sie nach einer Wohnung gesucht haben. So wird in vielen Fällen deutlich: Es fehlen so viele Wohnungen, dass Vermieterinnen und Vermieter, die eine Wohnung zu einer Wuchermiete anbieten, durchaus das knappe Wohnungsangebot ausnutzen. Damit eine Mietpreisüberhöhung nach § 5 WiStG geahndet werden kann, muss zudem nachgewiesen werden, dass Mieterinnen und Mieter keine Ausweichmöglichkeit in einem anderen als dem bevorzugten Kiez hatten, um eine bezahlbare Wohnung zu finden. Auch hierfür werden Inserate auf Plattformen und Bewerbungen auf Mietwohnungen genutzt. Und auch für Berlin lässt sich sagen: Der Wohnungsmarkt ist in der gesamten Stadt angespannt. Das Amtsgericht Frankfurt sowie das zuständige Oberlandesgericht haben das dortige Vorgehen bestätigt, weshalb die Stadt nun in vielen Fällen erfolgreich gegen Mietwucher vorgehen kann. Dem Beispiel muss Berlin nun auch folgen und aus der Frankfurter Praxis lernen. Ich bin mir sicher, dass das Gesetz auch in Berlin erfolgreich zur Anwendung gebracht werden könnte.

Wie würde dann eine Umsetzung in Berlin aussehen können, und mit welchen Widerständen werden wir rechnen müssen?

In Berlin sind die Bezirke zuständig für die Durchsetzung. Stadtrat Oliver Nöll (Die Linke) in Friedrichshain-Kreuzberg ist der erste, der eine Stelle für die Verfolgung von Mietwucher geschaffen hat und noch in diesem Jahr die ersten Verstöße ahnden will. Diesem Beispiel sollten andere Bezirke folgen. Bisher gibt es zu wenig Unterstützung durch den Senat, der sich eher darauf zurückzieht, dass die Bezirke agieren müssen. Das ist zu wenig. Wenn es zu Verfahren vor Gericht kommt, entsteht ein gewisses Prozessrisiko. Hier sollte der Senat die Bezirke unterstützen und die Risiken tragen, damit die Bezirke sich in der Lage sehen, das Instrument zur Anwendung zu bringen. Der Senat trägt die dringende Verantwortung, die begrenzte Zahl der uns zur Verfügung stehenden Mittel mit größtmöglichem Engagement zur Anwendung zu bringen, um leistbare und adäquate Wohnbedingungen für alle Mieterinnen und Mieter durchzusetzen. Der Senat darf die Verantwortung nicht nur auf die Bezirke schieben, sondern muss diese – wie in vielen anderen Bereichen absolut üblich, genannt sei hier nur der Milieuschutz oder das Vorkaufsrecht – nach Kräften unterstützen, Verfahren absichern und auch zum Handeln auffordern.

Was ist eigentlich der Unterschied zur Mietpreisbremse – das scheint ja etwas zu konkurrieren?

Die Durchsetzung des Mietrechtes kann in der Regel nur auf zivilrechtlichem Wege – also in der ungleichen Konfrontation zwischen Mietern und Vermietern – erfolgen. Viele Mieterinnen und Mieter schrecken davor zurück, zum Beispiel die Mietpreisbremse zur Anwendung zu bringen, weil sie Sanktionen durch Vermieterinnen und Vermieter befürchten oder sich keinen Anwalt leisten können. Natürlich müssen alle zu ihrem Recht kommen, und ich möchte allen Mieterinnen und Mietern dringend empfehlen, sich anwaltliche Unterstützung zu suchen oder eine Mieterberatung aufzusuchen, wenn ein Verstoß gegen die Mietpreisbremse vorliegt. Aber die Erfahrung aus vielen Gesprächen mit Mieterinnen und Mietern zeigt mir, dass das eine gewisse Hürde ist, gegen den eigenen Vermieter vorzugehen. Der entscheidende positive Unterschied bei der Verfolgung von Mietwucher nach § 5 WiStG ist: Hier müssen nicht die Mieterinnen und Mieter selbst aktiv werden und zivilrechtlich klagen. Hier werden die Behörden direkt aktiv.

Welche Folgen hätte das konkret auf den Staatshaushalt bezogen?

Das könnte mehrere positive Wirkungen haben: Mieterinnen und Mieter sind nicht völlig schutzlos und öffentliche Institutionen unterstützen sie dabei, zu ihrem Recht zu kommen. Wenn die Miete sinkt, müssen Behörden weniger Geld zum Beispiel für Wohngeld zur Verfügung stellen. Im besten Fall finanzieren sich die Personalstellen in den Behörden damit sogar selbst. Vermieterinnen und Vermieter, die unerlaubt hohe Mieten verlangen, könnten sich nicht mehr sicher sein, dass sie dafür nicht belangt werden. Das ist auch ein Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Immer mehr Menschen bleiben am Ende des Monats nur noch wenige Euro übrig, weil die Kosten für eine warme Wohnung einen immer größeren Anteil ihres Einkommens verschlingen. SPD und CDU in Berlin drehen an der Mieten-Schraube bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen auch noch selbst mit und haben zu Beginn des Jahres die Mieten für 180.000 Wohnungen um bis zu 11% angehoben.

Aber reicht das als Mittel gegen hohe Mieten?

Die Verfolgung von Mietwucher wird nicht alle Probleme lösen können. Wir brauchen auch mehr bezahlbare Wohnungen durch Neubau. Als Berliner Linke haben wir deshalb ein Konzept für ein Kommunales Wohnungsbauprogramm vorgeschlagen. Damit könnten in den kommenden 10 Jahren insgesamt 75.000 dauerhaft bezahlbare Mietwohnungen entstehen. Wichtig bleibt außerdem die Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne, also die Umsetzung des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Wenn wir mehr Wohnraum in öffentliche und gemeinwohlorientierte Hand überführen, können wir bestimmen, wie sich dort die Mieten entwickeln und Wohnraum an besondere Bedarfsgruppen vergeben. Und schließlich brauchen wir ein besseres Mietrecht, das wirkungsvoller vor Kündigungen, Zwangsräumungen und Eigenbedarf schützt und die Mietpreise deckelt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Rechtsanwalt Marek Schauer.

 

Niklas Schenker ist Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus für Wohnen, Mieten und öffentlichen Wohnungsbau.


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