Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 442 / Juni 2024

Krankenhäuser als Hochrisikozonen

Die Berliner Krankenhausbewegung kämpft weiter für bessere Arbeitsbedingungen in den Berliner Kliniken

Von Silvia Habekost

Vor knapp drei Jahren haben wir einen Entlastungstarifvertrag erkämpft. Wir, das sind die nichtärztlichen Beschäftigten bei dem kommunalen Klinikkonzern Vivantes und dem Universitätsklinikum Charité. Wir haben einiges erreicht, doch es gibt weiter viel zu tun.   

Nicht erst seit Corona sind die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern katastrophal. Hauptursache dafür ist der Personalmangel, der durch den massiven Personalabbau ab Beginn der 2000er Jahre herbeigeführt wurde. Mit Einführung der Krankenhausfinanzierung über Fallpauschalen 2004 und mit der Möglichkeit Gewinne zu machen, stand nicht mehr die gute Versorgung der Patient/innen im Mittelpunkt, sondern wie und mit wem am besten Geld verdient werden kann. Personal wurde zum Kostenfaktor: Vor allem Pflegepersonal wurde abgebaut, Ausbildungsplätze wurden reduziert und Servicekräfte ausgegliedert. Gleichzeitig mussten mehr Patient/innen mit mehr schweren Erkrankungen versorgt werden. Das führte zu unerträglichen Arbeitsbedingungen und Gefährdungen der Patient/innen. Viele Pflegekräfte haben ihre Arbeitszeit auch deswegen reduziert oder den Beruf gleich ganz verlassen.

2015 erreichten die ver.di-Kolleg/innen an der Charité erstmals, dass Arbeitsbedingungen in einem Tarifvertrag geregelt wurden. Und – das ist ganz wesentlich – dass dafür gestreikt werden kann. Doch dieser Tarifvertrag hat nicht zu der Veränderung geführt, die nötig gewesen wäre. Mit der Corona-Pandemie wurde die Situation in den Krankenhäusern noch schlechter, rückte sie aber auch mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Es kam kurzzeitig die Hoffnung auf, dass es eine Rückkehr zur bedarfsgerechten und kostendeckenden Finanzierung geben würde. Aber das ist nicht passiert.

Für uns bedeutete dies eine Neuausrichtung der gewerkschaftlichen Arbeit. Also eine Abkehr von dem traditionellen Ansatz, dass ein Anliegen in einen Betrieb hineingetragen und stellvertretend von der Gewerkschaft verhandelt wird. Uns war klar, dass wir unsere Ziele nur mit Stärke erreichen würden, und dass Stärke Mehrheiten braucht. Es geht um Organizing. Das heißt, dass jeder Einzelne in die Lage versetzt wird, selbst zu handeln, hin zu kollektiver und solidarischer Gegenwehr.

Aktivierung der Basis ist der Schlüssel

2020 war eine Gruppe von bei ver.di organisierten Kolleg/innen von Charité und Vivantes fest entschlossen, eine gemeinsame Tarifbewegung aufzubauen, die zu tatsächlicher Entlastung führt. Mit dabei waren auch Kolleg/innen der ausgegliederten Tochterfirmen. Von ver.di kam die Zusage, das Projekt personell zu unterstützen. Der erste Schritt war eine Petition der Mehrheit der Beschäftigten. Bereits da begann der Strukturaufbau mit vielen sogenannten 1:1-Gesprächen. Zwei wesentliche Fragen wurden in diesen Gesprächen gestellt: Was muss sich für dich verändern, damit du wieder gut arbeiten kannst? Und was bist du bereit, dafür zu tun? Wesentlich ist hier, dass nicht Einzelne durch den Betrieb gehen und die Gespräche führen, sondern dass sich in den Teams Kolleg/innen finden, die dies  übernehmen.  

Am 12. Mai 2021 wurde die Petition mit 8397 Unterschriften übergeben und ein 100-Tage-Ultimatum an die Landesregierung und die Geschäftsführungen gestellt: Entweder es gibt Verhandlungen oder es wird gestreikt. Während der 100 Tage wurden die Forderungen aufgestellt und Teamdelegierte gewählt. Es waren die Kolleg/innen selber, die die Forderungen aufstellten und in einem zweiten Schritt ihre Bereitschaft erklärten, für diese auch zu streiken.

Im Juli gab es ein großes Teamdelegiertentreffen im Stadion an der Alten Försterei, wo die wesentlichen Forderungen beschlossen wurden. Neu war auch, dass nicht im stillen Kämmerlein von Wenigen verhandelt wurde, sondern von der ganzen Tarifkommission, die aus Kolleg/innen aus allen Bereichen bestand. Die Tarifkommission hatte zudem beschlossen, den Stand der Verhandlungen mit den Teamdelegierten zu besprechen und keinem Ergebnis ohne deren Votum zuzustimmen. Durch diese Rückkopplung waren alle Kolleg/innen an den Verhandlungen beteiligt. Das machte einen wichtigen Unterschied zum üblichen Prozedere bei Tarifverhandlungen. Diesmal hieß es: Wir sind die Expert/innen für unsere Arbeit, und es wurde nicht über uns verhandelt, sondern mit uns.

Kurz vor Ende des Ultimatums gab es im August die ersten Warnstreiks. Da es noch kein Verhandlungsangebot gab, wurde eine Urabstimmung durchgeführt und mehr als 95% der ver.di-Mitglieder stimmten für einen unbefristeten Streik. Der begann am 9. September und dauerte bei der Charité 30 Tage, bei Vivantes 33 und bei den Vivantes-Töchtern 43 Tage.

Parallel dazu war klar, dass wir den Kampf auch in der Öffentlichkeit gewinnen mussten. Zum Auftakt fand im April eine digitale Stadtversammlung mit über 600 Teilnehmenden statt. Wir nutzten den Wahlkampf, um die Politik auf unsere Seite zu bekommen und betrieben intensive Pressearbeit.

All das führte zu zwei Tarifverträgen zur Entlastung und zu einem Entgelttarifvertrag für die Vivantes-Töchter. Die Entlastungstarifverträge regeln Mindestbesetzungen für die stationären Bereiche mit klaren Festlegungen: Mit wie vielen Fachkräften muss für wie viele Patient/innen eine Schicht besetzt sein. Auch für die Rettungsstellen, Kreißsäle und OP/Anästhesie wurden Besetzungsregeln ausgehandelt. Für andere Bereiche wurden pauschale Entlastungsregeln vereinbart, die in Nachverhandlungen präziser geregelt werden sollten. Für Azubis gibt es Regelungen zur Verbesserung der Ausbildung.

Ein ganz wesentlicher Teil der Tarifabschlüsse betrifft die Frage: Was passiert, wenn Besetzungsregeln nicht eingehalten werden? Vereinbart wurde ein System von Belastungspunkten für unterbesetzte Schichten. Diese werden in Form von Freischichten abgegolten, die man sich auch auszahlen lassen kann.

Die Erwartungen der Kolleg/innen waren natürlich hoch, denn sie hatten so hart gekämpft. Aber die Umsetzung funktionierte nicht gleich zu Beginn, und auch die Nachverhandlungen gestalteten sich zäh und schwierig. Mittlerweile wirkt der Druck durch die vielen Freischichten, sodass in vielen Bereichen die Schichten besser besetzt sind und Personal langfristig aufgebaut wird. Im Grunde können wir erst jetzt feststellen, dass der Tarifvertrag wirkt. Es ist aber auch deutlich, dass der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und damit eine gute Patient/innenversorgung nicht vorbei ist.    

Gemeinsam mit anderen Bewegungen

Klar ist auch, dass nicht alles durch Arbeitskämpfe erreicht werden kann. Es muss auch der politische Wille zu Veränderung vorhanden sein. Die Auseinandersetzung um die Töchter von Vivantes und der Charité zeigt, dass der Wille zu einer Gleichbehandlung zwar auf dem Papier steht, aber nicht umgesetzt wird. Es wird höchste Zeit, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Rückführung der Töchter in die Muttergesellschaften endlich vollzogen wird.

Es hat sich aber auch gezeigt, dass und wie wir mit betrieblicher Stärke und Druck Kämpfe gewinnen können. Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, hat uns alle verändert, und wir tragen diese Erfahrungen weiter, auch in andere Auseinandersetzungen. Fast zeitgleich zu unseren Kämpfen fand der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ statt. Es hat sich auch hier gezeigt, dass die Organizing-Methode mit direkter Ansprache und Beteiligung funktioniert.

Die Bewegungen haben sich gegenseitig unterstützt – „Auch Krankenschwestern müssen Miete zahlen“ war z. B. das Motto auf einem unserer Transparente. Denn eine gute Gesundheitsversorgung gehört genauso zur Daseinsvorsorge wie bezahlbarer Wohnraum. Uns eint der Ansatz, unsere Ziele mit der Stärke von Mehrheiten und einer langfristigen und breit angelegten Organisierungskampagne zu erreichen. Und leider eint uns auch die Erfahrung, dass der politische Wille fehlt, den Volksentscheid umzusetzen.

Aber aufgeben ist keine Lösung. Wir organisieren weiter. Im letzten Jahr haben wir gemeinsam mit vielen Kolleg/innen bundesweit für höhere Löhne gekämpft. Zwar haben wir nicht die 500 Euro für Alle in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes (TVöD) erreicht, aber doch höhere Abschlüsse erzielt, als uns zugetraut wurde. Und die nächste TVöD Runde im kommenden Jahr wird bereits vorbereitet.

 

Zum Nachlesen:
berliner-krankenhausbewegung.de
vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/gebraucht-beklatscht-aber-bestimmt-nicht-weiter-so

Silvia Habekost ist Krankenpflegerin bei Vivantes in Berlin und aktiv in der Berliner Krankenhausbewegung von ver.di.


MieterEcho 442 / Juni 2024

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