Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 441 / Juni 2024

Im Spiegelkabinett der Wohnungskrise

Der neue Berliner Mietspiegel belegt den drastischen Mangel an bezahlbarem Wohnraum

Von Andrej Holm

Die Senatsverwaltung hat einen neuen Mietspiegel vorgelegt. Als qualifizierter Mietspiegel auf der Basis von knapp 17.500 auswertbaren Antworten erstellte das ALP Institut für Wohnen und Stadtentwicklung das neue Tabellenwerk. Die Mietwerte werden jetzt in Zeilen, nicht mehr in Feldern, ausgewiesen. Verfolgt wurde vom beauftragten Institut eine neue Herangehensweise, so dass der Mietspiegel 2024 nun insgesamt 163 Mietspiegelzeilen (2023 waren es noch 96 Mietspiegelfelder, davon 7 Leerfelder) hat. Der Mittelwert der Mieten ist auf 7,53 Euro/qm gestiegen. Vor allem die Zahl an preisgünstigen Wohnungen hat sich weiter verringert.

Für die Erstellung des Mietspiegels 2024 wurde ein „datengetriebener Ansatz“ verfolgt. Die ermittelten Mietpreise werden nicht mehr den vorab festgelegten Kategorien zugeordnet, sondern die Mietspiegelzeilen werden aus den erhobenen Daten generiert. Dieser Ansatz ist sinnvoll, wenn die Mieten innerhalb der vorgegebenen Zeilen sehr weit auseinander liegen und keine hilfreiche Orientierung geben können. Durch den neuen Ansatz wurde die Anzahl der Baualtersklassen und der Wohnungsgrößenklassen deutlich erweitert. Statt der bisher acht werden nun elf Baualtersklassen unterschieden. Überraschenderweise wurden vor allem in Baualtersklassen mit relativ wenigen Wohnungen (Baujahre „1973 bis 1990 West“ und „2003 bis 2022“) zusätzliche Differenzierungen eingeführt. Die zweite Veränderung ist eine variationsreiche Ausdifferenzierung der Größenklassen. Statt der vier bisherigen Wohnungsgrößen (unter 40 qm, 40 < 60 qm, 60 < 90 qm, über 90 qm) werden im neuen Mietspiegel die Größenklassen zum Teil in Schritten von 5 qm gebildet. Gesteigert wird die Komplexität dadurch, dass die Größenklassen in den verschiedenen Baualtersgruppen unterschiedlich ausgewiesen werden und innerhalb der Baualtersgruppen zwischen den Lagequalitäten variieren. Wie in einem Spiegelkabinett ist es eine echte Herausforderung, sich im Mietspiegel 2024 zurechtzufinden. 

Fragmentierter Wohnungsmarkt 

Die auf 163 Zeilen aufgestockte Mietspiegeltabelle ist vielleicht nicht besonders benutzerfreundlich, aber in ihrer Komplexität ein Abbild der Berliner Mietverhältnisse. Trotz des neuen Berechnungsansatzes, der ja eigentlich die Unterschiede innerhalb der einzelnen Mietspiegelzeilen so gering wie möglich halten sollte, zeigt der neue Mietspiegel, wie stark die Mietpreise innerhalb eigentlich gleicher Bedingungen (Baualter, Wohnfläche und Lage) inzwischen auseinanderfallen. Wie in den früheren Mietspiegeln auch werden für jede Zeile nicht nur ein Mittelwert aller Wohnungen angegeben, sondern auch sogenannte untere und obere Spannenwerte. Diese zeigen an, in welcher Mietspreisspanne sich die Mieten der einzelnen Zeilen bewegen.

Im Mietspiegel 2013 lag der durchschnittliche Abstand zwischen dem unteren und oberen Spannenwert bei gerade einmal 1,85 Euro/qm. Im Mietspiegel 2024 liegt dieser Abstand bei über 4 Euro/qm. Die zulässige Höchstmiete für eine Wohnung ist damit stärker als früher von den wohnungsspezifischen Ausstattungsmerkmalen abhängig. In einzelnen Zeilen des Mietspiegels verliert die Zeilenzugehörigkeit fast völlig an Bedeutung: Für Wohnungen unter 50 qm in „guter Lage“, die zwischen 2016 und 2022 fertiggestellt wurden, können die Mieten zwischen 11,41 Euro/qm und 24,74/qm Euro liegen – das ist eine Spannenweite von über 13 Euro/qm. Bei solchen Spannweiten innerhalb einer Mietspiegelzeile wird die Annahme einer „ortsüblichen Vergleichsmiete“ zur Fiktion. Entscheidend für den Mietpreis sind weniger die Ausstattung oder die Lage eine Wohnung, sondern vor allem der Zeitpunkt, an dem der Mietvertrag abgeschlossen wurde.

Über 96%, etwa 1,4 Millionen Wohnungen, die im Mietspiegel erfasst werden, wurden bis zum Jahr 2001 fertiggestellt. Die Mittelwerte dieser Wohnungen betrachtet, gibt es die günstigsten Mieten mit 6,09 Euro/qm in den Wohnungen, die zwischen 1973 und 1990 in Ostberlin gebaut wurden. Am teuersten sind mit 9,04 Euro/qm die Nachwendewohnungen, die zwischen 1991 und 2001 fertiggestellt wurden. Der maximale Unterschied, der durch das Baualter begründet wird, liegt demnach bei 2,95 Euro/qm. Auch die Lagezuordnung hat im Durchschnitt des Mietspiegels nur einen geringen Einfluss auf die Miethöhe: Zwischen den durchschnittlichen Mittelwerten der Wohnungen in einer „einfachen Lage“ (7,11 Euro/qm) und einer „guten Lage“ (8,39 Euro/qm) liegen gerade einmal 1,28 Euro/qm Differenz. Auch die Wohnungsgröße hat einen geringen Durchschnittseffekt auf die Mietpreise. 

Werden die etwa 20 Größenklassen des neuen Mietspiegels in der bisherigen Systematik zusammengefasst, liegt die Differenz zwischen der teuersten Wohnungsgröße (unter 40 qm mit 8,39 Euro/qm) und günstigsten (60 bis 90 qm mit 7,16 Euro/qm) bei gerade einmal 1,23 Euro/qm. Diesen relativ geringen Unterschieden der zeilenbestimmenden Merkmale gegenüber steht eine durchschnittliche Spannweite zwischen den unteren und oberen Spannenwerten der Mietspiegelzeilen von 3,91 Euro/qm.
Werden die ab 2002 errichteten Neubauwohnungen in die Betrachtung einbezogen, liegt die durchschnittliche Spannweite innerhalb der Mietspiegelzeilen eigentlich gleicher Wohnungen sogar bei 4,03 Euro/qm. 

Im Durchschnitt sind die Mittelwerte der Mietspiegel zwischen 2013 und 2024 um insgesamt 41% gestiegen – das entspricht einem jährlichen Anstieg von knapp 4%. Die Veränderung zum Mietspiegel 2023 fällt mit einem Anstieg von 6% leicht höher aus. Die relativ kontinuierlichen Mietsteigerungen der letzten Dekade gehen auf meist höhere Neuvermietungsmieten, Mietsteigerungen nach Modernisierungen und die gesetzlichen Mieterhöhungen zurück, die bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erlaubt sind. Auffällig ist, dass die Veränderung der unteren Spannenwerte zwischen 2013 und 2024 mit einem Anstieg von +35% unterdurchschnittlich ausfällt. Die oberen Spannenwerte sind hingegen mit einem Zuwachs von +59% überdurchschnittlich gestiegen. Das dürfte im Wesentlichen auf die deutlich über den Durchschnittsmieten liegenden Neuvermietungen zurückgehen.

Betroffen von den Mietsteigerungen sind aber auch die bisher günstigsten Bestände, die größere Modernisierungsspielräume boten und unterhalb der ortsüblichen Vergleichssätze lagen. Substandardwohnungen – also Wohnungen ohne moderne Heizung, ohne Bad oder sogar ohne Innen-WC – werden schon seit vielen Jahren nicht mehr als eigenständige Kategorie im Mietspiegel aufgeführt. Doch die Daten der Grundgesamtheit von 2013 wiesen noch knapp 160.000 Wohnungen aus, denen mindestens eines der Basismerkmale für eine moderne Ausstattung fehlte. Das waren damals 13% aller erfassten Mietwohnungen. In den Daten zum Mietspiegel 2024 werden nur noch knapp über 26.000 solcher Substandardwohnungen vermerkt. Bezogen auf die Grundgesamtheit sind das nur noch 2%. Insgesamt sind demnach etwa 130.000 ehemalige Substandardwohnungen in höherpreisige Mietspiegelkategorien aufgestiegen. Auch die Gesamtzahl der günstigen Mietwohnungen hat sich zwischen 2013 und 2024 deutlich verringert. Im Mietspiegel 2013 waren noch über 90.000 Wohnungen zu finden, die Mietpreise unter 4 Euro/qm aufwiesen. Im Mietspiegel 2024 gibt es solche Wohnungen nur noch als statistische Ausnahmen. Den niedrigsten „unteren Spannenwert“ gibt es mit 4,93 Euro/qm in großen Wohnungen (90 bis 105 qm), die vor 1949 fertiggestellt wurden und einer „einfachen Lage“ zugeordnet sind.

Noch drastischer fällt das Abschmelzen der Mietpreise zwischen 4 und 6 Euro/qm aus. Im Jahr 2013 lagen noch über 900.000 Wohnungen in diesem Preissegment. Insgesamt hatten 80% aller mietspiegelrelevanten Wohnungen einen Mietpreis von unter 6 Euro/qm. Im aktuellen Mietspiegel hat sich die Zahl der Wohnungen in dieser Mietpreisklasse auf etwa 300.000 reduziert und ihr Anteil liegt bei nur noch 22%. Mit knapp 965.000 Wohnungen liegen mehr als zwei Drittel aller Wohnungen inzwischen in der Mietpreisspanne zwischen 6 und 9 Euro/qm. Die Zahl der Wohnungen mit Mietpreisen über 9 Euro/qm hat sich von etwa 2.000 (2013) auf über 140.000 (2024) erhöht und umfasst mittlerweile über 10% der Mietspiegelwohnungen.

Unteres Preissegment schmilzt

Die schrittweisen Mietpreissteigerungen belegen eine fortlaufende Ausdünnung von preiswerten Wohngelegenheiten in Berlin. Seit dem Jahr 2013 hat sich die Zahl der Mietwohnungen mit Mieten von unter 6 Euro/qm um mehr als 700.000 verringert. Angesichts des akuten Mangels an leistbaren Wohnungen, wird deutlich, dass die Herausforderungen einer sozialen Wohnversorgung vor allem im Bestand bearbeitet werden müssten.

So wichtig der Neubau für die Ausweitung des Gesamtwohnungsbestandes ist, so geringe Effekte haben die bisherigen Neubauaktivitäten für die Bereitstellung von leistbaren Wohnungen. Zwischen 2016 und 2022 wurden knapp 99.000 Neubauwohnungen fertiggestellt. Für den Mietspiegel von Relevanz sind davon alle Wohnungen, die nicht als Eigentumswohnungen und nicht als geförderte Wohnungen errichtet wurden. Die Zahl der 2016 bis 2022 fertiggestellten Sozialwohnungen im Neubausektor beläuft sich auf knapp 10.000 Wohnungen und entspricht etwa 10% des Neubauvolumens. Die Statistiken zu den Baufertigstellungen in Berlin weisen in der Kategorie „Wohngebäude mit Eigentumswohnungen“ für den Zeitraum etwa 28.500 Wohnungen aus, die knapp 29% der neugebauten Wohnungen entsprechen.

Im Mietspiegel aufgeführt werden müssten demnach die etwa 60.000 neugebauten Mietwohnungen. In der Grundgesamtheit des Mietspiegels wird die Zahl der Wohnungen mit einer Baufertigstellung zwischen 2016 und 2022 jedoch mit nur 22.500 Wohnungen angegeben – das sind gerade einmal 23% aller Neubauwohnungen seit 2016. Unabhängig vom rätselhaften Verschwinden von fast 38.000 Neubauwohnungen zeigen die Mietpreisstrukturen dieser Baualtersklasse, dass die freifinanzierten Neubauwohnungen keinen Beitrag für eine soziale Wohnversorgung leisten: Nur 5% der im Mietspiegel erfassten Neubauwohnungen haben Mietpreise unter 10 Euro/qm (nettokalt).

Der Mietspiegel 2024 zeigt, dass sich die Wohnungskrise mit ihren kontinuierlichen Mieterhöhungen im Bestand vor allem zu Lasten der bisher günstigen Wohnungen durchsetzt. Statt als Orientierungshilfe für künftige Mieterhöhungen sollte der Mietspiegel als Signal für eine soziale Wohnungspolitik verstanden werden. 


MieterEcho 441 / Juni 2024

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.