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MieterEcho 431 / April 2023

Widerstand gegen Zerschlagung

Künftiger Senat könnte die Ausschreibung der S-Bahn für private Betreiber noch verhindern

Von Carl Waßmuth

Seit 2019 läuft ein hochkomplexes Verfahren zur S-Bahn Berlin. Zwei erst noch zu schaffende Teilnetze sind für den Betrieb durch private Unternehmen ausgeschrieben worden. Eine neue Wagenreihe soll entwickelt und 1.300 Einheiten davon beschafft werden, so viele, wie heute bereits fahren. Kauf und Instandhaltung der Züge sollen im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) mit 30 Jahren Laufzeit erfolgen. Allein die Baumaßnahmen für die Zerschlagung des bisherigen Gesamtnetzes würden vermutlich eine Milliarde Euro kosten. Das gesamte Volumen der Ausschreibung wird auf 11 Milliarden Euro geschätzt. 

Dazu kämen nach dem Ende der Niedrigzinsphase mehrere Milliarden Euro durch die steigenden Zinskosten für den riesigen Schattenhaushalt des Vorhabens. Auch verkehrs- und umweltpolitisch geht es um viel: Die S-Bahn verzeichnet 300 Millionen Fahrgäste pro Jahr, das sind dreimal so viele Fahrten wie im bundesweiten ICE-Netz im selben Zeitraum. 

Seit Beginn der Ausschreibungspläne leisten Beschäftigte und Klimaaktivist/innen Widerstand gegen das Vorhaben. Sie hoben das Bündnis „Eine S-Bahn für Alle“ aus der Taufe, druckten eine Zeitung, beteiligten sich an einem Filmclip und übergaben im Januar diesen Jahres 10.000 Unterschriften an die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch. Anlässlich der Übergabe berichteten TV-Sender und viele Zeitungen bundesweit über die Kritik an dem Vorhaben. Im Zuge der Entgegennahme der Unterschriften sagte die Senatorin: „Die Zeiten des Neoliberalismus sind vorbei“. 

Leider ist jedoch die aktuelle Ausschreibung Neoliberalismus reinsten Wassers. Das Verfahren geht weit über das hinaus, was das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung und die EU vorschreiben. Dort steht nichts von einer Zerschlagung der S-Bahn in drei künstliche Teile. Und auch die Abtrennung der Beschaffung und Instandhaltung der Wagen per ÖPP ist ein Berliner Privatisierungsextra.

CDU ist gegen die Auschreibung

Also fragten Berliner Aktive die Berliner Parteien in einer Email-Kampagne vor der Wahl, wie sie zur Teilprivatisierung und Zerschlagung der S-Bahn stehen. Unterstützung kam dabei vom Bündnis Bahn für Alle, das sich gegen die Zerschlagung der Bahn auf Bundesebene einsetzt. Während SPD, Grüne und Linke in ihren Antworten Sachzwänge vorgaben und an dem Vorhaben festhielten, reagierte CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner – für viele durchaus überraschend – wie folgt: „Die Ausschreibung […]  birgt die Gefahr der S-Bahnnetz-Zerschlagung. […]  Das Land Berlin sollte seinen Einfluss, auch mit Blick auf das Mobilitätsinteresse der Berliner […] nicht aus der Hand geben. […] Weiterhin besteht aus unserer Sicht die begründete Gefahr der Entlassung tausender Mitarbeiter. Aufgrund der befristeten Ausschreibungsdauer besteht für die Mitarbeiter keine langfristige Beschäftigungsperspektive […]. Es ist zu befürchten, dass sich die Arbeitsbedingungen durch Tarifflucht, massiver Erschwerung zur Durchsetzung gewerkschaftlicher Rechte sowie diverser Möglichkeiten zum Aufbau von Subunternehmerpyramiden deutlich verschlechtern. Aus den genannten Gründen muss intensiv geprüft werden, ob und wie die […] S-Bahnausschreibung gestoppt und die S-Bahn in einer Hand bleiben kann […].“

Die S-Bahn-Ausschreibung ist alles andere als alternativlos, es gibt die Möglichkeit der Direktvergabe. Dazu müsste Berlin – juristisch formuliert – „einen bestimmenden Einfluss auf das betreffende Unternehmen ausüben“, wie etwa bei der BVG, deren Betrieb auch nicht ausgeschrieben werden muss. Das wäre möglich durch Kauf von Anteilen der S-Bahn Berlin GmbH. Bettina Jarasch hat den Aktiven im Januar versprochen, bei der DB diesbezüglich anzufragen. Bisher behauptet der Senat, die Deutsche Bahn (DB) wolle nicht verkaufen, tatsächlich hat man sich noch gar nicht darum bemüht. Bei den privatisierten Wasserbetrieben hatten die privaten Eigentümer RWE und Veolia auch kein Interesse an einem Verkauf. Aber der öffentliche Druck durch einen Volksentscheid zwang sie letztlich dazu. Wenn Berlin die S-Bahn wirklich kaufen wollte, wäre es sicher möglich. Wann, wenn nicht jetzt?      

 

Carl Waßmuth ist Bauingenieur und Autor sowie Mitbegründer von „Gemeingut in Bürger/innenhand (GiB) e. V.“ und vom Bündnis „Bahn für Alle“.


MieterEcho 431 / April 2023