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MieterEcho 435 / August 2023

Spreeküste versenken

Südlich des Kraftwerks Klingenberg forcieren Investoren eine Maximalbebauung mit Bürotürmen

Von Nicolas Šustr   

Katalin Gennburg ist aufgebracht. „Wir sind stadtentwicklungspolitisch in einer Situation, in der die Privatisierungstiraden der letzten drei Jahrzehnte insbesondere im Osten zu einer wirklich toxischen Situation am Grundstücksmarkt führen, weil man überwiegend mit Spekulanten konfrontiert ist“ , sagt die Stadtentwicklungspolitikerin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus zu MieterEcho .

Was Gennburg so in Wallung versetzt: Unter dem Namen „Spreeküste“ soll Berlin mit der nächsten Büro- und Gewerbestadt beglückt werden. Nachdem das Mediaspree-Areal zwischen Ostbahnhof und Elsenbrücke in Friedrichshain fast komplett fertiggestellt ist und auch an der Rummelsburger Bucht alle Claims abgesteckt sind, hat der Investorentross nun den nächsten Spreeufer-Abschnitt in den Fokus genommen. Rund 30 Hektar Grund in bester Uferlage, der einen rund einen Kilometer langen und bis zu 350 Meter breiten Abschnitt südlich des Kraftwerks Klingenberg in den Bezirken Lichtenberg und Treptow-Köpenick umfasst. Den südlichen Abschluss des Gebiets bildet das Areal des Funkhauses Nalepastraße, dem ehemaligen Sitz von DDR-Rundfunk und -Fernsehen.

Rund 500.000 qm Geschossfläche sollen auf dem Areal mit derzeit zwölf Grundstückseigentümern entstehen – das liegt in der Größenordnung der Gesamtbebauung am Potsdamer Platz. Die Pflöcke werden aber derzeit maßgeblich von einem einzigen Investoren eingeschlagen – mit freundlicher Unterstützung des Lichtenberger Baustadtrats Kevin Hönicke (SPD). Der Berliner Investor Archigon will auf rund drei Hektar etwa ein Fünftel des Bauvolumens realisieren – 105.000 qm hauptsächlich Büro- und Gewerberäume unter dem Namen „Spreewerk“. Für das städtebauliche Werkstattverfahren „Berlin-Spreeküste“ wurde in der Auslobung das Ziel bereits klar formuliert: „Für das Grundstück der Archigon GmbH wurden Bebauungskonzepte gesucht, die die Vorstellungen der Eigentümerin hinsichtlich Bauvolumen und Nutzungsmix ermöglichen.“ Alles unter Beteiligung der Senatsbauverwaltung und der Bezirke Treptow-Köpenick und Lichtenberg, letzterer federführend. Im Frühjahr wurde an zwei der sieben teilnehmenden Teams aus Architektur- und Landschaftsplanungsbüros ein erster Preis vergeben. Was die Entwürfe eint: Mehrere bis zu 100 Meter messende Hochhäuser sollen neben großen, die Straße begleitenden Häuserblöcken entstehen.

Eldorado für Spekulanten

Ein vorhabenbezogener Bebauungsplan des Bezirks Lichtenberg soll dem Projektentwickler Archigon, dessen Grundstück im Werkstattverfahren als „Realisierungsteil“ bezeichnet wird, möglichst zügig Baurecht verschaffen. „Für die Fläche von Archigon sind wir bereits im Bebauungsplanverfahren. Ich gehe davon aus, dass wir nach einer zweijährigen Planungsphase dann auch Baurecht schaffen werden“, sagte Baustadtrat Kevin Hönicke zu Neues Deutschland. Das Werkstattverfahren ist nötig, weil das Grundstück direkt an Treptow-Köpenick grenzt. Archigon ist bisher vor allem mit dem Bau luxuriöser Wohnanlagen aufgefallen, beispielsweise in Treptow mit den Bouchégärten. 

„Das Gebiet liegt im sogenannten Boom-Korridor, der zum Flughafen BER und zur Tesla-Autofabrik führt“, sagt Gennburg. „Mit diesen Grundstückseignern wird das auf die Spitze getrieben – so kommen bis zu fünf Hochhaustürme zustande“. Tatsächlich sind schillernde Namen darunter. Zum Beispiel der Investor Trockland, der vor einigen Jahren versucht hatte, seine Renditeträume am Checkpoint Charlie mit erheblichem Aufwand gegen den Willen der damaligen rot-rot-grünen Koalition durchzusetzen. Für Schlagzeilen sorgte damals, dass sich an einer der zuständigen Tochtergesellschaften unter anderem die Witwe des 2006 verstorbenen turkmenischen Präsidenten Saparmurad Niyasov beteiligte. Ihm wurden Menschenrechtsverletzungen und Veruntreuung von Geldern vorgeworfen. Geldwäscheverdacht gab es auch in anderen Fällen. „Funkytown“ nennt sich das Vorhaben von Trockland auf Teilen des einstigen DDR-Rundfunkareals – der übliche aktuelle Investorenmix mit Co-Working-Spaces und dem restlichen Klimbim, um ein „attraktives“ Umfeld zu schaffen.

Und dann ist da noch Uwe Fabich. Der Ex-Investmentbanker hat sich in den letzten Jahren große Teile des Areals gesichert. Einerseits den Kern des einstigen Funkhauses Nalepastraße und schließlich über den Kauf der Reederei Riedel auch das nördlich gelegene Hafengelände. Er erhob Korruptionsvorwürfe im Zuge des Werkstattverfahrens, der Bezirk Lichtenberg geht dagegen juristisch vor. Auf der Internetseite der Bürgerbeteiligung zum Werkstattverfahren platzierte Michael Nogai, der Grundstücksverwalter von Fabich, an mehreren Stellen einen gleichlautenden Kommentar. Darin formulierte er die Aufforderung, „dieses Verfahren sofort zu stoppen und nicht weiter Steuergelder für ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Werkstatt-Bebauungsplanverfahren auszugeben“. Der Vorwurf: Um die hohe Baudichte auf dem Archigon-Grundstück überhaupt realisieren zu können, würden die nötigen Ausgleichsflächen auf Fabichs Areal generiert. „Durch diese Klassifizierung von Grundstücken als Grünflächen werden unsere Klienten, die wahren Eigentümer der Spreeküste, massiv benachteiligt und de facto zum Vorteil eines Dritten enteignet“, schrieb Nogai und kündigte juristischen Widerstand an.

„Ein anderes Verfahren wäre besser gewesen, das nicht von einem Investor federführend gesteuert wird. Wenn ich ein Projekt von der Maxime eines Eigentümers führe, ist dessen Maxime leitend“, sagt Julian Schwarze zum MieterEcho. Er ist Stadtentwicklungsexperte der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Was nicht passieren darf: Dass auf Grundlage dieses Wettbewerbs Fakten geschaffen und städtebauliche Rahmenverträge geschlossen werden“, so Schwarze weiter. Denn dieses „perfide Vorgehen“ habe man in Berlin schon viel zu oft erleben müssen. „Da sollen Bezirksverordnetenversammlungen oder das Abgeordnetenhaus über Planungen entscheiden, können es aber de facto nicht mehr, weil hohe Schadensersatzforderungen im Raum stehen“, verdeutlicht er die Praxis, die an der Rummelsburger Bucht oder dem Hochhausprojekt „Urbane Mitte“ am Gleisdreieck geübt wird.

Sozial-ökologische Planung gefordert

„Wir schlagen vor, dem Spuk ein Ende zu bereiten. Über das Instrument einer Vorkaufsrechtsverordnung wollen wir enteignungsgleiche Eingriffe und die Ausweisung als Entwicklungsgebiet“, fordert Gennburg. „Wir wollen keine zweite Rummelsburger Bucht, sondern eine sozial-ökologische Planung für eine geordnete städtebauliche Entwicklung jenseits vom Boom-Korridor, jenseits von Trockland oder Fabich“, so Gennburg weiter. Die hohe Baudichte, die Absage an den Wohnungsbau und den unsensiblen Umgang mit Baudenkmälern wie der gegenüber liegenden Gaswerksiedlung oder dem alten Kraftwerk Rummelsburg kritisieren beide Politiker/innen.

„Die im Wettbewerbsergebnis nun dargestellten Baumassenzahlen stehen in eklatantem Widerspruch zur Umgebung“, heißt es auch in einer Stellungnahme des Kiezforums Rummelsburg. Gefordert wird die Freihaltung eines mindestens 20 Meter breiten Uferstreifens von Bebauung. Derzeit werde der Naturschutz nicht ausreichend berücksichtigt. Abends drohe eine „Geisterstadt“ durch die Büronutzung mit geschätzt 8.000 Arbeitsplätzen. Zudem sei „abzusehen, dass das Kraftwerk auf nicht-fossile Energiegewinnung umstellen muss. Damit entfällt der Vorbehalt zur Genehmigung der Wohnnutzung. Die Aufgabenstellung des Werkstattverfahrens hat diesen Umstand völlig ignoriert“, so die Initiative weiter. Berlin brauche preiswerten Wohnraum.

Baustadtrat Kevin Hönicke will von diesen Einwänden offenbar wenig wissen. „Es ist von uns gewünscht, die Fläche mit einer großen Baumasse auch auszunutzen. Wir werden die Baumasse im Zuge der Auswertung der Beteiligung aber auch noch einmal überdenken“, erklärte er gegenüber Neues Deutschland. Außerdem habe die BVV sich bereits vor Jahren gegen eine Wohnbebauung ausgesprochen. „Auf der Lichtenberger Seite sind alle Flächen in privater Hand. Wenn hier Wohnungen gebaut werden würden, wären diese hochpreisig. Deshalb haben wir gesagt, hier sollen lieber Flächen für Gewerbe entstehen, die andernorts keinen Platz mehr finden“, so Hönicke weiter.

Wohnungsbauprojekte gebe es schließlich in der Umgebung. „Es wird keine tote Bürostadt, wir wollen das Gebiet auch durch gastronomische Einrichtungen abends beleben“, versprach er. Wie schlecht das oft klappt, lässt sich beispielsweise in der Europa-City nördlich des Hauptbahnhofs Abend für Abend besichtigen.  

 

Nicolas Šustr arbeitet in der Presseabteilung des Umweltverbandes BUND Berlin und als freier Journalist. Zuvor war er Redakteur im Berliner Lokalressort der Tageszeitung Neues Deutschland. Der Tag.


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