Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 433 / Juni 2023

PR und Lobbyismus am Hermannplatz

Der Signa-Konzern hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seine Pläne für den Karstadt-Umbau durchzuboxen

Von Niloufar Tajeri

„Die Wiederauferstehung von Neukölln“ – so titelte das Online-Magazin moderneREGIONAL im Mai 2019, nachdem die Signa Holding ihre Pläne für das Großprojekt am Hermannplatz vorgestellt hatte. Die Wiederherstellung der Fassade des Warenhaus-Gebäudes, das von 1929 bis 1945 am Hermannplatz stand, wurde als Erlösung gefeiert, und das jetzige Neukölln indirekt als unwürdig dargestellt. Das ist insofern erstaunlich, da das Magazin eigentlich für seinen Einsatz gegen den Abriss von denkmalgeschützten Gebäuden der Nachkriegsmoderne bekannt ist. Und das bestehende Warenhaus-Ensemble am Hermannplatz ist denkmalgeschützt.       

Aber es ist auch ein Ausdruck der erzählerischen Kraft der historischen Architektur, die die einen begeistert und ablenkt, und die anderen empört und genauer hinschauen lässt. Schon wenig später zeigten Gegner/innen dieser Haltung klare Kante gegen diese unkritische Begeisterung für die Signa-Pläne. In einer von der Initiative Hermannplatz verfassten und von 25 weiteren stadtpolitischen Initiativen unterzeichneten Presseerklärung wurde der „monumentale Protz“ kritisiert, der nicht zum Kiez und seinen Bewohner/innen passe.

Seitdem veränderte Signa nicht nur die Architekturbilder, die nach und nach grafisch grüner, diverser und zeitgemäßer gestaltet wurden, sondern begann einerseits eine große öffentlichkeitswirksame PR-Offensive und andererseits verstärkte Lobbyarbeit hinter den Kulissen. In einer groß angelegten PR-Kampagne proklamierte der Konzern: „NICHT OHNE EUCH!“. Ein Versprechen, gemeinsam mit den Bewohner/innen Kreuzbergs und Neuköllns „die Zukunft des Karstadt am Hermannplatz zu gestalten“ und ihre Sorgen ernst zu nehmen.

Im Herbst 2019 startete das Unternehmen die Kampagne, die zunächst „Dialog Hermannplatz“ hieß, mit einer Ausstellung über das historische Gebäude im Obergeschoss von Karstadt und mit einem Hoffest zur Einweihung eines Cafés, eines Fahrradwegs samt Werkstatt-Station, Pflanzenbeeten und weiterer Elemente, die als „Prototypen“ für vermeintliche Nutzungen des Projektvorhabens vorgestellt wurden. Diese Live-Marketing-Veranstaltungen mit angeheuerten Statist/innen wurden intensiv und live auf allen Social Media-Kanälen des Konzerns kommuniziert: Facebook, Twitter, Instagram. 

Greenwashing und soziales Mäntelchen

Konzipiert wurde die Kampagne von der Berliner PR-Firma Storymachine, wie Die Zeit später herausfand. Storymachine arbeitete bereits für die CDU, RWE und Vonovia in Momenten, in denen die gesellschaftliche Kritik an diesen Akteur/innen besonders groß war. Die Strategie dabei: Sich der Kritik zuwenden, anstatt sie zu ignorieren oder dagegen zu reden, und dabei die Erzählung an sich reißen, sich dialogbereit geben und mit vermeintlicher Fürsorge, Engagement und Nahbarkeit reagieren. Und genau das tat Signa auch: Es wurden Dialoge in Form von „Bürger*innen-Sprechstunden“ und partizipative Planungswerkstätten im neuen Café angeboten. In den Social-Media-Kanälen wurden Umfragen gestartet, um Wünsche und Sorgen der Bewohner/innen zu erfragen, die dann vermeintlich umgesetzt werden sollen. Z. B. mit einem „modernen Stadtwald“ auf dem Dach des Gebäudes, einer Ziegelfassade statt Beton und der Wiederverwendung abgerissener Bauteile („urban mining“), um der ökologischen Kritik zu begegnen. Ferner gab es gemeinsame Absichtserklärungen mit einem interkulturellen Kita-Träger, dem Karuna e.V. und dem kommunalen Wohnungsunternehmen Stadt und Land, um die soziale Kritik abzumildern.

Manchmal ging der Konzern bei seiner Kampagne aber auch deutlich zu weit. So behauptete er auf Facebook, dass er an der Umsetzung der Pop-up-Radwege in Friedrichshain-Kreuzberg mitbeteiligt sei, und erhielt sofort eine Rüge vom Bezirk. Der Konzern entschuldigte sich und tat es als Missverständnis ab. Aber der Konzern mischte sich weiter ungefragt in Fragen der Verkehrsplanung und -beruhigung ein und entwarf Ideen für die Umgestaltung des Hermannplatzes. Immer mit der Erzählung, dem Bezirk aus rein gemeinwohlorientierten Gründen unter die Arme greifen zu wollen. Eine eigens dafür veröffentlichte Broschüre „Hermann und Henriette – Unsere Verkehrswende-Vision für das Karstadt-Gebäude und den Hermannplatz“ stilisiert das geplante Art-Déco-Gebäude zur Frauenfigur „Henriette“ und den Platz zu ihrem Partner „Hermann“, die, so das Konzept, zusammengehören. Räumlich übersetzt sich das in eine Verkehrsberuhigung des Platzes auf der dem Gebäude zugewandten Seite. Eine eigennützige, aufwändig aufbereitete Vision, die sich aber wohltätig gab.

Der Konzern begann die öffentliche Meinung hinsichtlich der Gestaltung des Platzes und die Verkehrsplanungen mit seiner öffentlichkeitswirksamen Kampagne zu beeinflussen. Und das mit Begriffen wie Verkehrsberuhigung, Begrünung, Nachhaltigkeit und Ruhe, die im Kiez akzeptiert sind. Signa hatte immer gleich eine Idee parat, inklusive Bilder und ausgeklügelter Erzählung, und brachte die Entscheidungsträger/innen unter Entscheidungsdruck. Doch es ging bei dieser Strategie nicht nur darum, das Projekt umzusetzen. Es war auch eine Möglichkeit, zusätzlich Geld zu verdienen.

Im Kern geht es dabei um ESG („Environmental, Social and Governance“ – Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). Dies ist ein Regelwerk von Kriterien, das die „Nachhaltigkeit“ von Unternehmen bewertet. Der Immobilienwelt ist bewusst, dass ihre Projekte vermehrt auf Widerstand stoßen und dies mehr Kosten und Verzögerungen nach sich zieht. Derartige Risiken werden von derartigen Unternehmen ebenso betrachtet und behandelt, wie andere wirtschaftliche Risiken.

Mit ESG wird versucht, Widerstand zu neutralisieren und weitere Gewinne zu ermöglichen. Auf der Basis des Nachhaltigkeitsberichts von Signa aus dem Jahr 2019, in dem die „Bürger*innen-Sprechstunden“ im Signa-Café als „Beteiligungsprozess“ dargestellt wurden, die „sehr positives Feedback“ erhalten hätten, bewertete die ESG-Ratingagentur Sustainalytics Signa als qualifiziert für die Platzierung von „grünen“ Anleihen, mit denen der Konzern Gewinne erzielen kann.

Womöglich war Signa auch deswegen so erzürnt darüber, dass eine öffentliche, „partizipative“ Auftaktveranstaltung des Senats Ende 2021 vor allem von Protesten von Anwohnenden geprägt wurde. Es hagelte Kritik und Wut aus dem Publikum, am Ende wurde „Stoppt den Prozess“ skandiert. Signa wandte sich danach in einem Schreiben an den Senat, in dem kritisiert wurde, dass die Einladungen für alle öffentlich und die Anwesenheit der Initiative Hermannplatz zu deutlich gewesen sei.

Ex-Minister als Top-Lobbyist

Die andere strategische Schiene von Signa war Lobbyismus. Unterstützt von der Unternehmensagentur Joschka Fischer & Company kontaktierte Signa direkt Politiker/innen auf den Bezirksebenen und im Abgeordnetenhaus. Die Agentur des früheren grünen Außenministers erwies sich mit ihren Beziehungen zur Berliner Politik und Wirtschaft als wichtiger Akteur in der Vernetzung des Konzerns mit den Entscheidungsträger/innen. Sie dürfte eine wichtige Rolle bei der gemeinsamen Absichtserklärung gespielt haben, die Signa und der Senat unterzeichnet haben.
Darin wurde unter anderem trotz geplanter Schließungen ein temporärer Arbeitsplatzerhalt für vier Warenhaus-Filialen in Berlin ausgehandelt und im Gegenzug grünes Licht für langfristige Immobilienprojekte, unter anderem am Hermannplatz, signalisiert. Und auch das Vorgehen des damaligen Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel (SPD), der den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan und die Planungen vorangetrieben hat, dürften auf die intensive Lobbyarbeit von Signa zurückzuführen sein.

Inzwischen gibt es eine neue Landesregierung und das Unternehmen Signa wankt erheblich. Ob sich die Strategie des Konzerns als nachhaltig erweist, ob sich der finanzielle Aufwand für sie gelohnt haben wird, wird sich sicherlich bald zeigen. Im Moment ist vieles ungewiss, der Bebauungsplan ist noch nicht beschlossen. Was aber klar ist: Der Widerstand vor Ort und auf vielen weiteren Ebenen hat sich bereits gelohnt. Er hat das Vorhaben erfolgreich um mehrere Jahre verzögert und die tatsächliche Problematik des Projekts ist für viele sichtbar geworden. Es wurde jedenfalls Zeit gewonnen, in der noch vieles passieren kann, in Richtung einer sozial und städtebaulich verträglichen Entwicklung des Warenhauses am Hermannplatz.  

 

Niloufar Tajeri ist Architektin und Stadtforscherin in Berlin. Sie ist Mitbegründerin der Initiative Hermannplatz.


MieterEcho 433 / Juni 2023

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.