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MieterEcho 433 / Juni 2023

Erzählen statt zählen

Die Union für Obdachlosenrechte Berlin (UFO) will nicht über die Betroffenen reden, sondern mit ihnen

Von Peter Nowak

„Stay at Home“ lautete während der Corona-Pandemie die Ansage. Doch wo sollten die Menschen hin, die kein Zuhause haben? Für Menschen ohne Wohnung und Obdach war die Pandemie eine schlimme Zeit. Da kaum Menschen auf der Straße waren, konnten keine Flaschen gesammelt werden.   

„Wir hatten kein Geld, aber auch die Stellen, wo wir Essen und Hilfe bekommen konnten, hatten geschlossen“, erinnerte sich Dietlind Schmidt an die Zeit im Frühjahr und Sommer 2020. Die resolute Frau ist selbst wohnungs-, aber nicht rechtlos, wie sie betont. Schmidt ist Mitbegründerin der Union für Obdachlosenrechte Berlin (UFO). Dort haben sich Wohnungs- und Obdachlose gemeinsam mit solidarischen Menschen zusammengeschlossen, die sich von einer Parole leiten lassen, die in der Zeit der Pandemie auf vielen Transparenten zu lesen war. „Leave no one behind“ (Lasst niemanden zurück). Das kann man auch als Leitmotiv von UFO verstehen.

Wichtig ist den Aktivist/innen, dass nicht über, sondern mit den Wohnungs- und Obdachlosen geredet wird. Das wird als Anspruch von vielen Gruppen propagiert, aber längst nicht immer praktiziert. Ein Beispiel war die von der Senatsverwaltung für Integration, Soziales und Arbeit im Januar 2020 erstmals durchgeführte öffentliche Zählung von obdachlosen Menschen in Berlin. Die Aktion bekam eine Menge mediale Aufmerksamkeit und für die erste Zählung hatten sich auch viele Freiwillige gemeldet. Doch die Ernüchterung folgte schnell. Mit knapp 2.000 Menschen konnte nur ein Bruchteil derjenigen gezählt werden, die in Berlin auf der Straße leben müssen. 

Für UFO-Mitglied Uwe Mehrtens ist der Grund für den Flop klar. „Hier wurde vorher nicht mit den betroffenen Menschen gesprochen. Dann wäre klar geworden, dass wohnungs- und obdachlose Menschen ihren Schlafplatz als ihr kleines Stück Privatsphäre sehen und nicht wollen, dass dort unbekannte Menschen hinkommen.“ Der Tag der Zählung war für sie schlimm, weil sie dann ihren Schlafplatz verlassen mussten, um nicht gefunden zu werden“, ergänzt Schmidt. Anders als vom Senat geplant, fand keine weitere Zählung von wohnungs- und obdachlosen Menschen mehr statt: Es fanden sich nicht genügend Freiwillige. Sie hatten registriert, dass die Aktion über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg geplant worden war und sich viele der Zählung widersetzten, indem sie einfach an dem Tag nicht aufzufinden waren.

Hauptproblem Wohnungsmangel 

Doch die bei UFO organisierten Menschen beließen es nicht bei der Kritik der Zählung. Nach dem Motto „Erzählen statt zählen“ fragten sie obdach- und wohnungslose Menschen nach ihren Bedürfnissen und Wünschen. Dafür erstellten sie als Leitfaden einen Fragebogen. An mehreren Terminen zwischen Juni und November 2022 beteiligten sich jeweils zwischen 122 und 207 Wohnungslose an den Gesprächen. Sie drehten sich um die Bewältigung des Alltags auf der Straße, den Umgang mit Behörden und Polizei, über Erfahrungen von Abwertung und Bedrohung. Die zentrale Frage bei den Gesprächen lautete aber, was die Menschen sich am dringendsten wünschen.  „Einen menschenwürdigen Schlafplatz“ war eine häufige Antwort. 

Eine Wohnungslose wünschte sich eine feste Bleibe und keine Übergangswohnung. Ein junger Obdachloser ohne gültige Papiere antwortete: „Ich möchte legal sein, legal arbeiten und Deutsch lernen“. Ein weiterer häufig geäußerter Wunsch war ein sicherer Platz, wo die Menschen ihnen wichtige Gegenstände und Dokumente aufbewahren können. Immer wieder war auch der Wunsch nach einer Bleibe zu hören, wo die Menschen nicht kontrolliert werden. Dabei wurde deutlich, dass sich die meisten Betroffenen eine eigene Wohnung wünschen und nicht von Pensionen oder temporären Notunterkünften abhängig sein wollen. 

Das ist auch die zentrale Forderung von UFO. „Fehlende günstige Wohnungen sind ein zentrales Problem und führen zu Obdach- und Wohnungslosigkeit“, betont UFO-Mitbegründerin Susanne H., die ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Wohnen ist ein Menschenrecht, das jedem Obdach- und Wohnungslosen genommen wird. Dagegen müssen wir ankämpfen“, stellt sie die Grundsätze von UFO klar.    

 

Die Ergebnisse der Gespräche mit den wohnungs- und obdachlosen Menschen können hier nachgelesen werden: https://zeitdersolidaritaet.de/wp-content/uploads/2023/02/Ergebnisbericht-2022-Zeit-fuer-Gespraeche.pdf


MieterEcho 433 / Juni 2023