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MieterEcho 437 / Dezember 2023

Ein Riese auf tönernen Füßen

Die Krise im Wohnungsbau bringt auch den Vonovia-Konzern in heftige Turbulenzen

Von Sandra Schuster

Ob Vonovia oder die Adler-Group – derzeit vergeht kaum ein Tag ohne Meldungen über die Krise der Immobilien- und Baubranche. Zuletzt traf es den in Düsseldorf ansässigen Immobilienentwickler Gerch Group, der wegen drohender Zahlungsunfähigkeit im August 2023 Insolvenz beantragte. „Es braut sich ein Sturm zusammen“ , hatte das Ifo-Institut in Leipzig die Tragweite der Krise angesichts einer unter Unternehmen durchgeführten Umfrage im Juli dieses Jahres kommentiert. Neben der Inflation und den exorbitant gestiegenen Baupreisen setzten den Unternehmen besonders die gestiegenen Zinsen stark zu. Die großen Wohnungskonzerne scheinen nach der langen Phase des Booms hierdurch besonders ins Wanken zu geraten.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte im Juli 2022 damit begonnen, die Leitzinsen anzuheben. Mit diesem klassischen geldpolitischen Instrument will sie über die gedrosselte Kreditvergabe die Preissteigerung dämpfen und wieder auf 2% bringen. Der Mechanismus ist relativ einfach. Zunächst wird es für die Geschäftsbanken teurer, sich Geld bei der Zentralbank zu leihen. Auf die Kreditnehmer schlägt das weiter durch. Meist vergeben die Geschäftsbanken anschließend weniger Kredite oder sie nehmen hierfür höhere Zinsen. Zuletzt, am 14. September dieses Jahres, wurden von der EZB die drei Zinssätze zum zehnten Mal erhöht, wobei der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken Geld bei der EZB leihen können, auf 4,5% gestiegen ist. 

Betroffen ist die gesamte Branche. Doch der Fokus soll im Folgenden auf dem größten deutschen Wohnungskonzern, dem Bochumer Unternehmen Vonovia liegen, dessen Geschäftsentwicklung unter dem veränderten Zinsniveau einen genaueren Blick lohnt.

Milliardenverluste

Im Gegensatz zu Zeiten niedriger Zinsen verbucht Vonovia mittlerweile Milliardenverluste. Dies belegen die vom Konzern Anfang August vorgelegten Halbjahreszahlen: Im 2. Quartal 2023 wurde eine „Wertanpassung auf die Investment Properties“, d.h. eine Wertminderung für die Wohnungen, die der Konzern besitzt, in Höhe von rund 2,8 Milliarden Euro vorgenommen. Für das 1. Halbjahr 2023 ergibt das eine Wertminderung von insgesamt rund 6,4 Milliarden Euro. Anders ausgedrückt: Der Wert des Vermietungsportfolios hat entsprechend des Berichts Ende Juni 2023 bei rund 88,2 Milliarden Euro gelegen. Ende 2022 wurde der Immobilienbestand noch mit 94,7 Milliarden Euro bewertet.  

Insgesamt gehören dem Vonovia-Konzern gegenwärtig 547.998 Wohnungen in Deutschland, Schweden und Österreich. Hinzu kommen Garagen und Stellplätze sowie gewerbliche Einheiten. Wegen der erneuten Abwertung des Immobilienbestands verbucht Vonovia in der Gesamtrechnung für das 2. Quartal 2023 einen Verlust von gut zwei Milliarden Euro. Im Vorjahreszeitraum 2022 hatte der Dax-Konzern noch einen Gewinn in Höhe von rund 1,8 Mrd. Euro erzielen können. 

Die Zahlen offenbaren, dass der Immobilienbestand des Konzerns durch die Flaute am Immobilienmarkt weiter an Wert verloren hat. Während der Zinsniedrigphase ist Vonovia noch stark gewachsen und hatte viele Zukäufe gemacht, wie z. B. die Deutsche Wohnen. Für dieses Wachstum hat der Konzern jedoch große Schulden aufgenommen, ohne Reserven aufzubauen und das wirkt jetzt nach. So muss Vonovia angesichts der Zinswende höhere Zinsen auf diese alten Schulden zahlen. Dies ist dann der Fall, wenn beispielsweise alte Kredite durch neue abgelöst werden müssen. Zum Nachteil von Vonovia sind diese dann teurer und drücken den Gewinn im Tagesgeschäft. 

Darüber hinaus kommt noch ein weiterer Aspekt zum Tragen: Die Zinswende der Notenbanken führt dazu, dass sich die Menschen immer weniger Immobilien leisten können. Im Schnitt lässt das auch die Preise bei Immobilien sinken. Bei Vonovia hat das zur Konsequenz, dass der Wohnungs- und Häuserbestand weniger wert ist. Und das wiederum lässt Zweifel aufkommen, ob das Unternehmen die Immobilien gewinnbringend veräußern kann. Die Wertberichtigungen im Bestand sorgen also dafür, dass die Schulden des Unternehmens immer stärker ins Gewicht fallen. 

Um seine Kapitalbasis in diesem schwierigen Umfeld zu stärken und Kapital für den Schuldenabbau einzuholen, ist Vonovia dazu übergegangen, größere Bestände an Wohnungen zu verkaufen. Im Frühjahr veräußerte der Bochumer Konzern ein Immobilienpaket mit 1.350 Wohnungen für rund 560 Millionen Euro an die US-amerikanische CBRE Investment. In Dresden erwarb die städtische Wohnungsgesellschaft WiD 1.213 Wohnungen sowie unbebaute Grundstücke mit einer Fläche von 12 Hektar für insgesamt 87,8 Millionen Euro von Vonovia. Ferner verkaufte der Konzern für eine Milliarde Euro eine Minderheitsbeteiligung an seinem „Südewo“-Wohnungsportfolio in Baden-Württemberg, das über 21.000 Wohnungen umfasst. Derzeit steht Vonovia vor dem Verkauf von 18.000 Wohnungen. Diese liegen vor allem in Schleswig-Holstein und gehören der Projektentwicklungstochter Buwog an, die Vonovia 2018 übernommen hatte. Damit habe man ein „weiteres Portfolio“ identifiziert, „das für einen Joint-Venture-Partner geeignet ist“, erklärte eine Vonovia-Sprecherin. 

Erste Verkaufsgespräche sind mit den Private-Equity-Investoren Apollo und KRR bereits geführt worden und auch Black-stone gilt als ein weiterer Interessent. Joint Venture seien derzeit der beste Weg, um dringend benötigtes Kapital für den Schuldenabbau aufzutreiben, heißt es in Branchenkreisen. Der klassische Transaktionsmarkt sei nahezu zum Erliegen gekommen. Für die Finanzinvestoren lassen sich mit derartigen Deals Renditen in Höhe von 7 bis 8% erzielen, das macht diese für sie interessant. Die Alternative wäre eine Kapitalerhöhung, also die Ausgabe zusätzlicher Aktien. Dies wäre laut Vonovia-Firmenchef Rolf Buch aber keine ernsthafte Option, weil die Marktkapitalisierung von Vonovia geringer ist, als der Wert der Immobilien.

Schlechte Zeiten für Mieter/innen

Für die Mieter/innen sind das keine guten Aussichten. Im Gegenteil, es droht die Gefahr, dass das Unternehmen die Mieten erhöht, denn dadurch hätte es mehr Einnahmen und könnte besser mit den gestiegenen Zinsen umgehen. Auf der anderen Seite spart Vonovia bei den Ausgaben, etwa indem der Konzern beispielsweise weniger Sanierungen vornimmt, oder, wie im September 2023 angekündigt, den Bau neuer Wohnungen auf Eis legt. „Bei uns liegen Planungen für insgesamt 60.000 Wohnungen in der Schublade“, sagte Vorstandschef Rolf Buch am 21. September den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wir machen alles fertig bis zum Baurecht. Und hoffen, dass sich Bauen bald wieder lohnt und rechnet“. Neue Käufer, wie der amerikanische Investor CBRE Investor werden sich vorrangig an der Rendite orientieren und weniger an den Bedürfnissen der Mieter/innen und Wohnungssuchenden.

Fatal für den Wohnungsmarkt wird ferner sein, dass sich auch in den anderen Segmenten angesichts der veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wenig tut, also wenig Ausweichmöglichkeiten für Mieter/innen bestehen. Wie Forscher berechnet haben, gehört Deutschland zu den Staaten mit dem stärksten Rückgang beim Wohnungsbau in Europa. Wie Berechnungen der 

Forschergruppe Euroconsruct zeigen, erwarten die Experten in 19 untersuchten Ländern einen Saldo von knapp 1,6 Millionen Wohnungsfertigstellungen. Das wäre ein Rückgang um 14% im Vergleich zu 2022, während hierzulande das erwartete Minus mit 32% mehr als doppelt so groß ist. 

Die kriselnde Baubranche belastet mittlerweile auch die gesamte Konjunktur. Die Bauproduktion und damit auch die Bauinvestitionen dürften in den kommenden Monaten deutlich zurückgehen, erwartet Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen. Ein Rückgang von insgesamt 10% erscheine dabei realistisch. „Damit dürfte die Krise am Bau dazu beitragen, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Winterhalbjahr weiter schrumpfen wird“, sagte Solveen in der Tagesschau. 

Für ein Umkrempeln des Wohnungsmarktes müssen die Weichen vor allem wohnungspolitisch neu gestellt werden. Auf längere Sicht ist der Aufbau dauerhaft gesicherter Bestände in einem gemeinnützigen Marktsegment dringend geboten, so wie seit über 100 Jahren in Wien erfolgreich umgesetzt wird. Hierfür wird es einen langen Atem brauchen. Die Zeit ist längst reif für einen Neustart – gefragt ist der politische Wille.                  

Sandra Schuster ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Referentin für Finanzpolitik für die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag.


MieterEcho 437 / Dezember 2023