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MieterEcho 437 / Dezember 2023

Editorial

Editorial MieterEcho

Liebe Leserinnen und Leser,

begonnen hatte alles 1991. Der niederländische Architekt Rem Koolhaas, der an dem Wettbewerb „Potsdamer Platz“ beteiligt war, hatte die Jury vorzeitig verlassen. Für ihn war deren Besetzung eine Katastrophe für das wiedervereinte Berlin und damit wollte er nichts mehr zu tun haben. Dem Spiegel vertraute er an, das Preisgericht sei vom Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD), wie von einem Staatsanwalt dominiert worden: „Lautstark, taktlos, engstirnig.“ Und er prophezeite, dass die Verantwortlichkeit dieses Mannes Berlin ein trauriges Schicksal bescheren werde: Ein „kleinbürgerliches, altmodisches, reaktionäres, banales und vor allem dilettantisches Bild der Stadt“.

Wie treffend diese Prognose war, kann man am Zustand der Berliner Altstadt ablesen. Statt den Palast der Republik zu retten, dessen Abriss Rem Koolhaas als „Verbrechen“ bezeichnete, wurde eine erdrückende Schlossattrappe errichtet und am Molkenmarkt ein maßlos aufwendiges archäologisches Projekt in Gang gesetzt, das nur zur Rechtfertigung einer kleinteiligen Bebauung dient, die betuchten Bürger/innen den Zugriff auf die Immobilien ermöglichen soll. Statt einer offenen Mitte, verfügbar für breite soziale Nutzung, soll eine finster verkitschte Bebauung entstehen, die auf ein imaginäres Preußen orientiert, unter dessem Label die Vermarktung möglichst profitabel stattfinden kann. Herhalten müssen alle möglichen Legenden über das Preußentum. Zuletzt die von dem Stadtplaner Harald Bodenschatz vertretene, dass dies der Ort christlich-jüdischer Toleranz sei und deshalb wieder bebaut werden müsse (sic!).

Wenn auch das Allerschlimmste, die Bebauung des Rathausforums, bisher verhindert werden konnte – die Seilschaft aus dem Kreis von Hans Stimmann hat den Kampf nicht aufgegeben. Ihre 2011 gegründete Initiative Planungsgruppe Stadtkern, zu deren Mitgliedern Verantwortliche für das Planwerk Innenstadt wie Dieter Hoffmann-Axthelm und Tobias Nöfer sowie die Architektin Petra Kahlfeldt, der Bauhistoriker Benedikt Goebel, der Stadtplaner Harald Bodenschatz, der Journalist Gerwin Zohlen, der Immobilienentwickler Willo Göpel und andere gehören, hat in der ehemaligen Eigentümerin der Batteriefabrik „Sonnenschein“, Marie-Luise Schwarz-Schilling, eine finanzkräftige Verbündete gefunden. Kahlfeldt, seit 2021 Senatsbaudirektorin, versucht den bisherigen Planungen über die Altstadt die Verbindlichkeit zu nehmen und durch einen Masterplan für das gesamte Gebiet zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor zu ersetzen. Der Begehrlichkeit des von ihr und der Planungsgruppe Stadtkern repräsentierten „Stadtbürgertums“ sind keine Grenzen gesetzt. Das Ergebnis ist mit Sicherheit „kleinbürgerlich, altmodisch, reaktionär, banal“. Aber verwertbar!

Ihr MieterEcho


MieterEcho 437 / Dezember 2023