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MieterEcho 435 / August 2023

Editorial

Editorial MieterEcho

Liebe Leserinnen und Leser,

die Schreckensmeldungen überschlagen sich. „Es war lange nicht mehr so schwer, eine Wohnung zu finden“, schreibt die Berliner Zeitung. Von „Wohnungsnot und Mietenwahnsinn“ spricht der Berliner Kurier und die BZ meint, „Berlin droht Wohnungsnot“ und verschiebt damit das Problem in die Zukunft.

Wohnungsmangel ist kein Ereignis, das wie eine der sieben ägyptischen Plagen ohne Vorankündigung auftritt. Wohnungsnot ist das Ergebnis gesellschaftlicher Verhältnisse und einer Politik, die es versäumt, diesen Verhältnissen entgegenzuwirken. Bereits im März 2011 titelte das MieterEcho: „In die Wohnungskrise gesteuert“ und zeigte auf, „wie die rot-rote Regierung den zunehmenden Wohnungsmangel und Mietsteigerungen herbeigeführt hat“.

Diese Koalition zog sich konsequent aus der Wohnungspolitik zurück, stellte den sozialen Wohnungsbau komplett ein und präsentierte dafür politische Expert/innen wie die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) und den wohnungspolitischen Sprecher der Linken, Michail Nelken, um die Lage zu erklären. Für Junge-Reyer war die Berliner Welt angesichts der höheren Mieten in München total in Ordnung, und Nelken sah im Neubau gar eine Bedrohung für die günstigen Bestandsmieten, weil die Neubaukosten über den Bestandsmieten lagen. Daneben wurde jahrelang von Leerständen gefaselt, und Junge-Reyer ließ massenweise Gutachten erstellen, um dieses Hirngespinst glaubhaft zu machen. Flankiert und in gewissem Sinne auch abgesichert wurde diese Politik von einer neubaufeindlichen Szene wohnungspolitischer Aktivist/innen.

Ein öffentlicher Wohnungsbau kam erst zögerlich wieder in Gang, als der Überhang der Nachfrage über das private Angebot absolut nicht mehr zu leugnen war. Seither hat sich die Lage kontinuierlich verschlechtert, in letzter Zeit dramatisch durch den Zustrom von rund 80.000 Menschen aus der Ukraine binnen kurzer Zeit.

Die Politik zeigt sich hilflos. Zwar wurde im Januar 2022 ein „Bündnis für Neubau und bezahlbare Mieten gegründet“, aber bei den Gründer/innen handelt es sich um dieselbe Truppe, die die Wohnungskrise politisch zu verantworten hat. Die ganze Trostlosigkeit findet ihren Ausdruck in dem Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU), die Einkommensgrenzen für einen Wohnberechtigungsschein heraufzusetzen. Mittelschichten werden dadurch begünstigt und Geringverdiener/innen einer Konkurrenz ausgesetzt, in der sie nicht bestehen können.

Es ist Zeit für einen fundamentalen Wechsel in der Wohnungspolitik. Die „Initiative für einen neuen kommunalen Wohnungsbau“ (inkw) hat sich das Ziel gesetzt, eigene Positionen in der bisher weitgehend vom Senat und der Immobilienwirtschaft dominierten Neubaudiskussion zu erarbeiten und auf diesem Weg eine neue wohnungspolitische Perspektive „von unten“ zu etablieren. 

Informationen finden sich auf der Webseite: inkw-berlin.de

Ihr MieterEcho


MieterEcho 435 / August 2023