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MieterEcho 437 / Dezember 2023

Bloß keine Stadt für Alle

Ein blendend vernetzter „Reko-Clan“ treibt nicht nur in Berlin die Rekonstruktion „historischer Innenstädte“ als Reichen-Refugien voran

Von Katalin Gennburg

Seit dem überraschenden Abbruch des internationalen Wettbewerbsverfahrens um die Neugestaltung des Molkenmarktes durch die amtierende Berliner Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt steht die Frage nach einer bezahlbaren „Mitte für alle“ akut infrage. Die damalige Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) sah hier noch kommunale und sozialgebundene Wohnungen auf einem der letzten innerstädtischen Grundstücke in Landeshand vor. Kahlfeldt wiederum streitet seit Jahren mit ihren Verbündeten um die profitable Privatisierung dieses Filetgrundstücks zugunsten befreundeter Architektur- und Planungsbüros, bemäntelt mit der Idee eines kaiserzeitlichen Wiederaufbaus der sogenannten „historischen Mitte“  .

Kahlfeldt steht nicht alleine, sondern ist eine der Frontfiguren eines „Reko-Clans“ von einflussreichen „Influencern“, die für Preußenkitsch und Wiederaufbau der Architekturen der Kaiserzeit in der „Wiege der Stadt“ streiten. Die Idee, dass in der Innenstadt die Wohlhabenden leben müssten, ist der Gegenentwurf zu einer Stadt der Moderne, und es greift eine fast schon beängstigende „Normalität“ dieser Logik um sich. Zu sagen, dass 100% Sozialwohnungen hinter dem Roten Rathaus gebaut werden sollen, wird mit der neuen Koalition aus SPD und CDU gänzlich für abwegig erklärt. 

Doch nicht nur in Berlin erleben wir die gezielte Umplanung bei gleichzeitiger Inwertsetzung des Raums in der als besonders „hochwertig“ erklärten jeweiligen Stadtmitte. Gebaut werden soll hier nach dem Wunsch dieser Rückwärtsgewandten ausschließlich teuer und mit historischem Antlitz. Auch Frankfurt/Main, Potsdam und Dresden sind Städte, die schon die Bekanntschaft mit der Berliner Senatsbaudirektorin Kahlfeldt und ihren Verbündeten machen mussten. Wer sich damit beschäftigt, findet viele Personalverwicklungen der Historismus-Freund/innen und kann ihre Organisationen in halbstaatlichen und privaten Strukturen identifizieren und auch die Anwendung der immer gleichen Planungsinstrumente mit den immer selben Argumenten antreffen. 

Bürgervereine und geneigte Wissenschaftler

Schon seit längerer Zeit treten in diesen und anderen Städten „zivilgesellschaftliche Akteure“ mit breiter Öffentlichkeitsarbeit im Sinne des „Reko-Clans“ auf den Plan. Dabei handelt es sich um Bürgervereine und -initiativen wie die „Freunde Frankfurts", „Mitteschön“ (Potsdam), sowie das Bürgerforum Berlin e.V. In Berlin ist das Netzwerk noch wesentlich verzweigter. Dort agieren unter anderem die Stiftung Berliner Mitte, die Planungsgruppe Stadtkern und der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg (AIV), die als Vorfeldorganisationen eine wichtige Funktion bei der Verbreitung und Verankerung der Idee einer quasi naturgemäßen Altstadtmitte für die wohlhabenden Bürger/innen der Stadt in einer kaiserzeitlichen Kulisse haben und in denen die Senatsbaudirektorin gut vernetzt und aktiv ist. 

Für die Verbreitung und gesellschaftliche Legitimierung dieser Idee braucht es ferner auch wissenschaftliche Akteure, die auf Fachkonferenzen referieren und in den Auswahlgremien für die Planungs- und Bauentscheidungen abstimmen. Für Potsdam und Frankfurt wurden wissenschaftlich besetzte Gestaltungsbeiräte berufen. Hier laufen die Verbindungen unter anderem beim „Deutschen Institut für Stadtbaukunst“ an der TU Dortmund und bei der Fachhochschule Potsdam durch Städtebau-Professor/innen wie Silvia Malcovati und Bernd Albers (inzwischen verstorben), sowie Markus Tubbesing, Professor für Denkmalpflege, mit Senatsbaudirektorin Prof. Kahlfeldt zusammen. Es ist anzunehmen, dass auch in Berlin ein solcher Beirat gegründet werden soll, und es wäre dringend notwendig, bereits jetzt über die Besetzung solcher Gremien zu sprechen, erst recht, weil diese von Kahlfeldt selbst besetzt werden.

Neben den personellen Verflechtungen lassen sich Gestaltungssatzungen und Leitbilder als Bausteine für den jeweiligen Umbau finden. Diese Instrumente dienen dazu, die vorhandenen Stadtstrukturen als „hässlich“ zu markieren und deshalb einen „Sanierungsbedarf“ festzuschreiben. Was erst mal in einer Sanierungs- oder Gestaltungssatzung steht, ist geldwert und wird für die Beantragung von Fördermitteln zum Stadtumbau verwendet. Wenn diese fließen, dann können die politisch Verantwortlichen auch Gelder zur Querfinanzierung in den Haushalt einstellen und Kooperationen mit Privaten abschließen. So eine Satzung ist eben nicht bloß ein Blatt Papier, sondern die Grundlage für weitreichende stadtstrukturelle Eingriffe in Bezug auf Umbau, Abriss, Neubau und massive Aufwertung. Wichtig dabei ist, dass eine als „hochwertig“ definierte Stadtstruktur als Planungsziel festgeschrieben wird, und so Mietwucher und Vertreibung für Jahrzehnte programmiert werden.  

Dazu ein paar Beispiele. In Frankfurt wurde für den Umbau des Domplatzes neben dem Römerberg eine Gestaltungssatzung erlassen, die den Wiederaufbau eines Aufenthaltsortes vor dem Dom und damit seine stadträumliche Aufwertung ermöglicht. In der Satzung wurde die kleinteilige Nutzung und Gestaltung festgeschrieben und dem Ort eine besondere Aufmerksamkeit zugeschrieben. Auf Jahre werden hier Millionen Steuergelder verbaut – für einen Platz, der vor allem von Tourist/innen genutzt wird, aber auch als attraktive Umgebung für die „hochwertigen“ Wohnungen im Umfeld. 

Für die Potsdamer Innenstadt wurde eine Integrierte Entwicklungsstrategie beschlossen, inklusive einer weiträumigen Denkmalbereichssatzung. Auf dieser Basis wurden sogenannte Leitbautenkonzepte erstellt, um die „Rekonstruktion verloren gegangener Bauwerke und Platzbilder“ und „die Sicherung und Zurückgewinnung von städtischer Identität“ abzusichern. Während der Domplatz bereits verbaut und vergoldet ist und wesentliche Zeugnisse der Moderne inzwischen abgerissen wurden und man dafür Preußenkitsch und anachronistische Gesellschaftsbilder installierte, wird in Berlin noch immer um die Gestaltung des Molkenmarkts gekämpft, mit dem Ziel einer Abkehr von der seit 1990 herrschenden Refeudalisierung des Stadtraums. Doch auch hier greift Kahlfeldt durch und sorgt mit der Charta Molkenmarkt zunächst für ein kleinteilig detailliertes Rahmendokument, welches dann in Gestaltungshandbuch und -satzung münden soll und umrahmt wird von einem neuen Masterplan für die „Historische Mitte“ – auch hier werden wieder Leitbautenkonzepte diskutiert. 

Nach dem Molkenmarkt geht es weiter

Aus der Ausschreibung des Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzepts (ISEK) für Mitte wird deutlich, dass mit dem Molkenmarkt nicht Schluss sein wird. In der Ausschreibung wird einem großen Bereich rings um Spreeinsel und Alexanderplatz „städtebaulicher Neuordnungs- und Nachverdichtungsbedarf“ zugesprochen, da es Teilbereichen an „städtebaulicher und gestalterischer Qualität“ mangele, die „der historischen Bedeutung und zentralen Lage nicht gerecht“ werde. Auch dort existieren etliche Bauten aus der Zeit zwischen 1950 und 1990, die von Kahlfeldt und Co. als „hässlich“ qualifiziert und gegebenenfalls dem Abriss anheimfallen könnten. 

Der dritte und vielleicht wichtigste Baustein zur (Re-)Privatisierung eines Stadtteils sind Projektentwicklungsgesellschaften, die nicht nur in Berlin als Türöffner für Baufilz bekannt sind. In Frankfurt wurde die Dom Römer GmbH als städtische Entwicklungsgesellschaft gegründet. In Potsdam wurde mit „Sanierungsträger Potsdam GmbH“ eine Tochtergesellschaft von Pro Potsdam gegründet, einer städtischen Gesellschaft für unterschiedliche Stadtentwicklungsprojekte. Beide Träger vermarkten die Grundstücke, organisieren also die Privatisierung „für“ die Stadt. 

In Potsdam spielt auch die Wohnungsgenossenschaft eine wichtige Rolle. Insider sagen, die alten Genossenschaften in Potsdam seien eher Partner der gewinnorientierten Immobilienentwickler und haben wegen teurer Fassaden und Tiefgaragen trotz massiver Fördermittel hohe Baukosten und dementsprechend auch kaum günstige Mieten in ihrem Bestand. Dies ist für die Debatte um den Molkenmarkt und die Verwicklungen des AIV und seines Vorsitzenden Tobias Nöfer deshalb so bedeutsam, weil der AIV bereits eine Genossenschaft gründete, um für mögliche Teilprivatisierungen am Molkenmarkt bereit zu sein – exakt mit dem gleichen Portfolio: Teure Fassaden und Tiefgaragen statt leistbarer Wohnungen für alle in der Mitte der Stadt!  

 

Umfangreiche Informationen finden sich auf der Webseite des Potsdamer Netzwerks „Stadt für alle“:
www.potsdam-stadtfueralle.de

Katalin Gennburg ist stadtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus. 2016 errang sie erstmals ein Direktmandat im Wahlkreis Treptow-Köpenick 1, das sie 2021 und 2023 verteidigte.


MieterEcho 437 / Dezember 2023