Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 437 / Dezember 2023

Betongold im Stuckmantel

Der einflussreiche Berliner Architekt Tobias Nöfer hat ein Herz für Wohlhabende

Von Nicolas Šustr

Hier ein Torbogen, da die gerundete Gebäudeecke und dort noch ein bisschen Fassadenschmuck oder eine Ziegelverblendung. Tobias Nöfers Architekturbüro weiß, wie hochpreisige Bauprojekte aussehen müssen, damit sie das Investorenherz erfreuen und bei der Käuferschaft das Gefühl wecken, ihr Geld in eine wertige Sache zu stecken. „Es ist Mainstream, der sich sehr gut verkaufen lässt“ , sagt eine bekannte Architektin dazu, die ihren Namen nicht im Mieter-
Echo veröffentlicht sehen will. Historisierende, professionell gemachte Architektur, die immer ihre Abnehmer findet, sei ein „weltweites Phänomen“ .     

Das wäre auch nicht weiter bemerkenswert, wenn Tobias Nöfer nur ein gutes Auskommen für sein Büro finden wollte. Er hat jedoch den Anspruch, entscheidenden Einfluss auf die Berliner Stadtentwicklung zu nehmen. Und als Teil eines Netzwerks, zu dem die Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) gehört und der im April 2022 verstorbene Architekt Bernd Albers gehörte, gelingt ihm das zunehmend, spätestens seitdem SPD-Fraktionschef Raed Saleh seine Parteifreundin Franziska Giffey 2021 als Spitzenkandidatin in die Landespolitik geholt hat.

Noch mehr Einfluss beschert Nöfer der Koalitionswechsel der SPD von Grünen und Linken zur CDU nach der Wiederholungswahl. Denn zu den Christdemokraten und besonders zum jetzigen Finanzsenator Stefan Evers pflegt er seit vielen Jahren ein gutes Verhältnis. Bemerkenswert ist, dass der Architekt 2021 für die SPD direkt an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen hat und in diesem Jahr Teil eines externen Beratungsteams der CDU unter der Leitung von Evers war.

Nöfers institutionelle Einflussbasis ist der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin und Brandenburg (AIV), wo er seit 2007 Vorstandsmitglied ist und zu dessen Vorsitzenden er erstmals 2019 gewählt und in diesem Jahr zum zweiten Mal im Amt bestätigt wurde. Sein 200. Jubiläum wird der Verein im kommenden Jahr feiern, der zu Zeiten des alten West-Berliner Baufilzes als eine Eintrittskarte für Senatsaufträge galt. Der kleine Verein mit rund 300 Mitgliedern hat sich in den letzten Jahrzehnten zur Homebase der Berliner Altstadtfreunde entwickelt. 

Eine „städtebauliche Klassenkampfansage“

Den Grundstein für den Einfluss auf den AIV legte der Nachwende-Senatsbaudirektor Hans Stimmann. In verschiedenen Vereinsgremien bekleideten Senatsbaudirektorin Kahlfeldt und Architekt Albers Ämter, weiterhin an Bord sind neben Stimmann auch der Historiker Benedikt Goebel. Die meisten Personen aus diesem Kreis waren auch in weiteren Altstadt-Lobbyorganisationen wie der Planungsgruppe Stadtkern und dem Bürgerforum Berlin aktiv und versuchten die öffentliche Debatte in ihrem Sinne maßgeblich zu beeinflussen.

Stimmanns Planwerk Innenstadt legte die städtebauliche Richtlinie der „kritischen Rekonstruktion“ im Berliner Zentrum fest. Zusammen mit einem weiteren Architekten war Bernd Albers' Büro für die östliche Innenstadt zuständig. Dortiger Projektleiter für das historische Zentrum war Tobias Nöfer. Festgeschrieben wurde damit die Einhaltung der klassischen Traufhöhe von 22 Metern für Neubauten und die Wiederherstellung der Blockrandbebauung auf Basis der Vorkriegs-Straßengrundrisse. Selbst herausragende Bauten der DDR-Moderne wie die Großgaststätte Ahornblatt auf der Fischerinsel wurden im Zuge der Umsetzung für den Bau gesichtsloser Renditeobjekte geschleift. Und auch die heutige Gestalt der Friedrichstraße mit ihren dramatischen Defiziten bei der Aufenthaltsqualität und siechenden Handelsflächen ist ein Ergebnis des Planwerks.

Eine „städtebauliche Klassenkampfansage“ nennt das Karin Baumert, die ehemalige Baustadträtin von Mitte. Und zwar Klassenkampf von oben, wie auch Tobias Nöfer bei seinen Ausführungen zur Molkenmarkt-Bebauung im Tagesspiegel beweist. „Im Altstadtkern müssen wir uns fragen: Wünschen wir uns hier eine Monostruktur aus Sozialbauten?“, sagte er. Eine bemerkenswerte Aussage, angesichts einer weitgehend durchgentrifizierten Innenstadt. Nöfer weiß auch, wo Sozialwohnungen hingehören: „Wenn man für 6,50 Euro vermieten will, kann man nur ganz wenig Geld ausgeben, und das tut man am besten auf der grünen Wiese.“

„Maximale Vielfalt“ wünscht sich der Luxusarchitekt. Eine an historischen Hausgrundrissen orientierte, kleinteilige Bebauung, die die Bürgerschaft Berlins repräsentieren soll. Zu bewundern ist diese städtebauliche Vision unweit entfernt am Werderschen Markt, wo Grundstücke für den Townhouse-Bau zu Schnäppchenpreisen privatisiert worden sind und die Häuschen inzwischen teilweise für zweistellige Millionenbeträge auf den Markt geworfen werden.

Nöfer will offenbar selbst beim erhofften Grundstücks-Monopoly am Molkenmarkt mitmischen. Im Oktober sollte eine von AIV-Mitglieder/innen gegründete Baugenossenschaft das Licht der Welt erblickt haben. Eine offizielle Nachricht dazu hat es dazu bisher noch nicht gegeben, allerdings seit Bekanntwerden der Pläne eine intensive politische Debatte. „Ich habe meine Erlebnisse mit dem AIV schon gehabt, ich will mich jetzt aber nicht ausdrücklich von ihm distanzieren“, sagte Bausenator Christian Gaebler (SPD) im Mai im Abgeordnetenhaus. Wenn man in einzelnen Fällen vom Grundsatz abweiche, Grundstücke nicht zu verkaufen, sondern in Erbpacht zu vergeben, könne das laut Gaebler nur für Genossenschaften gelten, „die eine entsprechende Tradition haben, die einen entsprechenden Bestand haben und die auch eine entsprechende Verlässlichkeit haben. Insofern kann Herr Nöfer gründen, was er will, aber dass jede sich Genossenschaft nennende Neugründung jetzt sofort Zugriff auf Landesvermögen bekommt, kann ich, glaube ich, ausschließen.“

Gaeblers Aussagen deuten auf einen heftigen Machtkampf in der SPD. Denn die letztlich von Franziska Giffey im Einvernehmen mit ihrem Co-Landesvorsitzenden und Fraktionschef Raed Saleh durchgedrückte parteilose Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt tut hinter den Kulissen alles dafür, die Verfahren für den Molkenmarkt und weitere Flächen im Zentrum zugunsten einer Altstadtrekonstruktion und der Privatisierung von Flächen zu drehen. Manche Beobachter halten Tobias Nöfer sogar für den strategischen Kopf hinter Kahlfeldts Agieren. Beim diesjährigen Mitte-Festival der Berliner Altstadtfreunde hielt denn Franziska Giffey auch eine Lobrede auf deren neue Speerspitze, die Stiftung Mitte Berlin.

Bedienung von Investoreninteressen

So gesehen haben Tobias Nöfer und sein Netzwerk bereits anderthalb Parteien der Berliner Landeskoalition auf seiner Seite: die CDU sowieso und außerdem den rechten Flügel der SPD. Vom derzeit nicht abzusehenden Ausgang des Machtkampfs bei den Sozialdemokraten hängt also ab, ob es zu einem weiteren Ausverkauf nicht nur in der Innenstadt kommt.

Geschickt nutzt Nöfer auch den gerade in progressiven Milieus verbreiteten, drängenden Wunsch, die Verkehrswende voranzubringen, für seine Zwecke. So bei der Auseinandersetzung um die Breite der Gertraudenbrücke. Denn ein besonders schmaler Neubau würde Platz für eine historisierende Rekonstruktion des Spittelmarkts schaffen. Eine Bebauung würde natürlich so teuer ausfallen, dass gemeinwohlorientierte Nutzungen kaum möglich wären – es kämen Investoren und Großbürgertum zum Zuge.

Ein Amalgam aus dem Wunsch nach Stadtumgestaltung und der Bedienung von Investoreninteressen ist auch der vom AIV forcierte Abriss des Autobahnzubringers Steglitz, der ehemaligen A104 von Schmargendorf zum Breitenbachplatz und weiter. Denn ohne Autobahn steigen Grundstückswerte und potenzielle Bauflächen entstehen. Für die Initiative „Stadt statt A104“ entwarf das Büro von Robert Patzschke im Jahr 2021 Testentwürfe. Bezeichnend, dass fast jeder freiwerdende Quadratmeter dort als Baufläche in Blockrandbebauung ausgewiesen worden ist.

Dass die Verkehrswende nicht zu den eigentlichen Anliegen Nöfers gehört, lassen dagegen seine Einlassungen zur zeitweilig autofreien Friedrichstraße im Tagesspiegel erkennen. „Man hat 70 Jahre dem Auto den Vorrang gegeben, jetzt darf man nicht den Fehler machen, dasselbe mit dem Fahrrad zu produzieren“, stimmte er in die außerordentlich überhitzte Debatte ein. Der Vorrang eines Verkehrsträgers gegenüber allen anderen sei „im Zentrum grundsätzlich falsch“.

Und natürlich sieht er auch im Tempelhofer Feld vor allem eine große Baufläche. Nicht nur für eine Randbebauung. In der Berliner Zeitung fragte er: „Muss man die Mitte des Feldes überhaupt freilassen?“ Kein Wunder, dass Tobias Nöfer der Architekt ist, dem die Investoren vertrauen. Er will ja nur bauen.


MieterEcho 437 / Dezember 2023

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