Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 436 / Oktober 2023

Auskunft zu sozialrechtlichen Fragen

Jurist/innen und Sozialarbeiter/innen unterstützen auch beim Ausfüllen von Anträgen auf Bürgergeld, Beratungs- und Prozesskostenhilfe

Interview mit Rechtsanwalt Christian Wisch

MieterEcho: Nach der langen Coronapause wird nun wieder wöchentliche Beratung vor Ort angeboten. Welche Vorteile bietet aus Ihrer Sicht die Präsenzberatung im Vergleich zur Telefonberatung?

RA Christian Wisch: Die Telefonberatung kann und soll auch nur kurze, einfach gelagerte Fragen beantworten. Das persönliche Gespräch kann aus meiner Sicht nicht ersetzt werden. In aller Regel tauchen viele wichtige Informationen erst hier auf, etwa beim Sichten von Unterlagen, aber auch allgemein im vertraulichen Gespräch. Auch Nachfragen können so rasch und direkt geklärt werden.

Welche Probleme sind in der Beratung gegenwärtig am drängendsten?

Es sind ganz klar immer noch und zunehmend wieder die Mietkosten bei Bezieherinnen und Beziehern von Bürgergeld, über die am meisten und nachvollziehbarerweise auch am verzweifeltsten gestritten wird. Die allgemeinen Kostensteigerungen der letzten Jahre haben diese Probleme nochmals verstärkt.

Welche Richtwerte für angemessene Kosten der Unterkunft gelten denn gegenwärtig?

Die Jobcenter setzen in der Regel die Richtwerte aus den Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß

§ 22 SGB II und §§ 35 und 36 SGB XII – Ausführungsvorschriften Wohnen (AV Wohnen) – an. Diese sollen den Bedarfsposten „Kosten der Unterkunft" aus dem SGB II für das Land Berlin regeln bzw. umsetzen.

Sie spiegeln aber die Realität auf dem Wohnungsmarkt nicht wider, um es diplomatisch auszudrücken. Die Wohnungsnot und die seit geraumer Zeit damit einhergehenden stark gestiegenen Mieten in Berlin sind allgemein bekannt. Die Richtwerte der AV Wohnen hingegen wurden aus einem bestimmten Segment einfacher Wohnlagen vor Jahren gebildet.

Es wurde der Bedarf damals letztlich vom gewünschten Ergebnis her ermittelt. Auch Nachbesserungen erfolgten allenfalls halbherzig. Hier nehmen nach meiner Wahrnehmung die Streitigkeiten wieder zu, nachdem die coronabedingten Sonderregelungen nun nach und nach ausgelaufen sind.

Wie sieht denn die Rechtsprechung dies?

Das Sozialgericht Berlin – oder doch die meisten Kammern des Gerichts – haben etwa für die Zeiträume ab einschließlich 2020 bereits als zutreffend angenommen, dass es nicht mehr ausreichend Wohnungen in Berlin gibt.

Dies müsste dann allerdings im Umkehrschluss bedeuten, dass die Miete grundsätzlich auch voll übernommen werden muss, wenn eben keine Ausweichmöglichkeiten mehr gegeben sind.

Ansonsten wird zunehmend – weil den AV Wohnen eben kein tragfähiges Konzept zugrunde liegt – durch das Gericht in analoger Anwendung von § 12 WohnGG ein anderer Wert als „angemessen“ ermittelt und angewandt. Kurz gesagt, wird nach der jeweiligen Stufe – im Land Berlin ist es die Stufe IV – nach Personenanzahl im Haushalt eine zulässige Bruttokaltmiete ermittelt. Sodann werden Sätze für die Heizung addiert. Ferner gibt es einen sogenannten „Sicherheitszuschlag" von weiteren 10%.

Diese Richtwerte sind insgesamt deutlich positiver ausgestaltet als besagte Richtwerte der AV Wohnen. Sich hier zu wehren, macht also oft Sinn!

Wie sollten Bürgerinnen und Bürger denn vorgehen, wenn die Miete nicht mehr vollständig übernommen wird?

Sie sollten unbedingt gegen den Bescheid, der die Miete nicht mehr in tatsächlicher Höhe berücksichtigt, Widerspruch einlegen. Dies gilt grundsätzlich auch für alle Folgebescheide. Ganz wichtig ist die Einhaltung der Monatsfrist.

Für den Widerspruch genügt ein Einzeiler, eine E-Mail genügt den Formerfordernissen nicht. Ich rate entweder zur Abgabe gegen Quittung beim Jobcenter vor Ort, zum Versand per Fax oder per Einschreiben.

Wenn eine Frist doch einmal verstrichen sein sollte oder die Miete schon früher nicht richtig berücksichtigt wurde, kann oft trotzdem noch etwas bewegt werden. Betroffene können dann bis rückwirkend zum Januar des Vorjahres noch einen sogenannten Überprüfungsantrag stellen.

In einem solchen Fall sollten sie sich unbedingt beraten lassen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Gisela Jahn.

 

Die Berliner MieterGemeinschaft bietet zu den angerissenen Themen sowie zu allen anderen sozialrechtlichen Anliegen Unterstützung an.

Sie können sich jeden Dienstag von 19 bis 20 Uhr in der Möckernstraße 92 persönlich beraten lassen.

Rechtsanwalt Christian Wisch ist schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des Sozial- und Sozialversicherungsrechts tätig.


MieterEcho 436 / Oktober 2023

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Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

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