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MieterEcho 420 / September 2021

Holpriger Weg zur „Fahrradstadt Berlin“

Die ursprünglichen Pläne der rot-rot-grünen Koalition für eine Verkehrswende wurden nur in kleinen Teilen realisiert

Von Rainer Balcerowiak

Als SPD, Die Linke und Grüne im November 2016 ihren 183seitigen Koalitionsvertrag für die kommende Legislaturperiode vorstellten, war viel von einem umfassenden Politikwechsel die Rede. Einer der Schwerpunkte war die Verkehrspolitik, die zweifellos eine der großen infrastrukturellen Baustellen der Stadt ist.

Ein längeres Kapitel ist dabei dem Fahrradverkehr gewidmet. Der neue Senat hatte große Pläne. „Die Koalition will in dieser Wahlperiode massiv in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur und des -netzes investieren sowie die Planungs- und Umsetzungsprozesse beschleunigen“, hieß es allgemein. Dann war viel von neuen „Bündnissen“ und „Projektsteuerungen“ die Rede, aber auch von konkreten Vorhaben: „Die Koalition verfolgt die Errichtung von im Regelfall mindestens zwei Meter breiten Radstreifen entlang des Hauptstraßennetzes. Die Streifen sollen so breit sein, dass ein sicheres Überholen möglich ist. Aus Gründen der Mobilitätssicherheit soll abschnittsweise eine physische Trennung des Radverkehrs sowohl vom Auto- als auch vom Fußverkehr erfolgen. Auf Nebenstraßen will die Koalition ein Netz aus Fahrradstraßen planen und errichten, das mit der restlichen Radverkehrsinfrastruktur verknüpft wird. (...) Die Koalition bringt den Umbau von Kreuzungen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit voran; in den nächsten fünf Jahren sollen die laut Unfallkommission ermittelten gefährlichsten Kreuzungen umgebaut werden. (...) Bei den gehwegbegleitenden Radwegen (...) werden Sichthindernisse vor Kreuzungen beseitigt, damit die Radfahrer*innen im Blickfeld der abbiegenden Autofahrer*innen sind. Die Koalition wird den Bau von Radschnellverbindungen vorantreiben, damit Pendler*innen weitgehend kreuzungsfrei – oder an Knotenpunkten bevorrechtigt – auch größere Distanzen überwinden können. Ziel ist eine Gesamtlänge von 100 km.“

Radschnellwege in der Planungsschleife

Das klang ambitioniert, doch die Umsetzung der Pläne ist – wenn überhaupt– nur rudimentär erfolgt. Die Planungen gerieten alsbald ins Stocken. Zwar wurde das angekündigte „Mobilitätsgesetz“, das auch all diese Fragen beinhaltet, 2018 verabschiedet, aber bei der Umsetzung hapert es gewaltig.  Im September 2020 wurden gerade mal die ersten drei von insgesamt zehn Machbarkeitsuntersuchungen zu Berlins geplanten Radschnellverbindungen (RSV) abgeschlossen. Und auch bei diesen Projekten liegt die Realisierung noch in weiter Ferne, wobei das berlintypische Kompetenzgerangel zwischen Senat und Bezirken eine wichtige Rolle spielt.

Nach wie vor gibt es zahlreiche Hauptstraßen ohne sichere Fahrradspuren, und nur der Corona-Krise ist es zu verdanken, dass wenigstens an einigen Straßen sogenannte Pop-up-Radwege mit sicherer Abgrenzung zum Autoverkehr eingerichtet wurden, da dies unter Umgehung des üblichen Planungsmarathons möglich war. Noch immer sind besonders an Kreuzungen zahlreiche schwere, manchmal tödliche Unfälle zu verzeichnen, die bei konsequenter Umsetzung der versprochenen Maßnahmen vermeidbar gewesen wären. Und bei den vorhandenen, auf Bürgersteigen verlaufenden Fahrradwegen wird man den Eindruck nicht los, dass deren Instandsetzung in dieser Legislaturperiode weitgehend eingestellt worden ist. 

Viele Fahrradfahrer/innen sind ernüchtert und frustriert. In einer Reportage des Deutschlandfunks bringt das eine Befragte auf den Punkt: „Am Anfang war wirklich eine richtige Aufbruchstimmung, dass wir dachten, jetzt tut sich endlich was. Das ist jetzt einer Gleichgültigkeit gewichen.“ Es habe sich kaum etwas wirklich grundlegend verbessert: „Ich merke nichts. Ich habe einmal in Moabit einen Fahrradstreifen entdeckt, der tatsächlich von der Autospur getrennt war, aber das ist das Einzige in den letzten drei Jahren.“ So geht es sicherlich vielen, auch wenn es in einigen Stadtteilen tatsächlich merkliche Verbesserungen gegeben hat.

Doch außer Vertröstungen auf eine „leuchtende Fahrradzukunft“ hat Verkehrssenatorin Regine Günther wenig anzubieten. Natürlich gibt es auch für die kommende Legislaturperiode wieder ambitionierte Pläne, doch der Glaube an eine konsequente Umsetzung schwindet allmählich.


MieterEcho 420 / September 2021