Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 409 /

Dem Wohl der Mitglieder verpflichtet

Warum Genossenschaften kein Modell für die soziale Wohnraumversorgung sein können

Von  Rainer Balcerowiak

Lange Zeit fristeten die Wohnungsbaugenossenschaften ein weitgehend unbeachtetes Schattendasein in der öffentlichen Wahrnehmung. Doch im Zuge der Verschärfung der Krise der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin sind sie mittlerweile wieder in aller Munde. Alle Parteien bekunden inzwischen ihre Unterstützung für die Genossenschaften, die einen mehr, die anderen weniger. Gepriesen werden sie als wichtiger Teil eines vermeintlich „gemeinwohlorientierten“ Segments auf dem Wohnungsmarkt. Ein extrem unscharfer Begriff, da er sich – anders als die 1990 abgeschaffte Wohnungsgemeinnützigkeit – juristisch und steuerrechtlich nicht definieren lässt.      

              
Als „gemeinwohlorientiert“ gelten neben den Genossenschaften auch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Dazu kommen bei einigen Akteuren der wohnungspolitischen Diskussion noch kirchliche Immobilienverwerter, bestimmte Stiftungen, Baugruppen, Hausvereine bis hin zu „sozial verantwortungsbewussten“ privaten Vermietern.
Dass die derzeit rund 80 Wohnungsgenossenschaften mit ihren 600.000 Mitgliedern und 186.000 Wohnungen – etwa 11,5% des Gesamtbestandes – eine wichtige Rolle auf dem Berliner Wohnungsmarkt spielen, ist unbestreitbar. Wobei dieser Bereich äußerst heterogen ist. Einige Genossenschaften blicken auf eine über 100-jährige Geschichte zurück und verfügen über bis zu 10.000 Wohnungen. Andere, vor allem in jüngerer Zeit entstandene, bauen und/oder bewirtschaften nur einzelne Häuser oder Blöcke. Und mit der „Diese eG“ ist aktuell ein neuer Akteur auf den Plan getreten, der mit unmittelbarer politischer Protektion durch Grüne und Linke installiert wurde, um die Scherben des an die Grenzen des renditegetriebenen Wohnungsmarktes gestoßenen Vorkaufsrechts der Bezirke in Milieuschutzgebieten aufzusammeln.                                                      
Kein Anrecht auf Mitgliedschaft
Doch allen Genossenschaften – egal ob jung oder alt, groß oder klein – ist eines gemein. Sie sind nicht dem Gemeinwohl im Sinne der sozialen Wohnraumversorgung für alle Schichten der Bevölkerung verpflichtet, sondern ausschließlich dem Wohl ihrer Mitglieder. Auf eine Mitgliedschaft gibt es kein Anrecht, dessen Gewährung obliegt den Genossenschaften selbst. Sie ist zudem an die Zeichnung von Genossenschaftsanteilen und in einigen Fällen auch Eintrittsgebühren gekoppelt. An soziale Kriterien und Quoten der Wohnraumvergabe, wie sie etwa bei den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften für Inhaber/innen von Wohnberechtigungsscheinen und besondere Härtefall-Gruppen gelten, sind sie nicht gebunden. Bei den älteren, großen Genossenschaften verläuft die Wohnungsvergabe nach ähnlichen Kriterien wie auf dem freien Markt. Schufa-Auskünfte, Gehaltsnachweise und Ähnliches spielen eine wichtige Rolle. Zudem stellen bereits die erforderlichen Summen für den Erwerb der Mitgliedschaft für Teile der Bevölkerung eine unüberwindliche Hürde dar. Extrem ist diese Exklusion bei einigen jüngeren Genossenschaften, wie etwa der Möckernkiez e.G. in Kreuzberg, wo als Eigenanteil für die Mitgliedschaft und spätere Nutzung der geplanten Wohnungen 800 Euro pro Quadratmeter fällig wurden. Auch bei der Diese eG, die ja ausschließlich in „sozialen Erhaltungsgebieten“ als Aufkäufer agiert, sind es 500 Euro pro Quadratmeter.


Wohnen in der Genossenschaft ist also eine Art Mischform. Man ist nicht einfach Mieter/in, sondern Mitbesitzer/in eines Wohnungsunternehmens, über dessen Geschäftspolitik man – zumindest theoretisch – auch mitentscheiden kann. Für den Wohnraum schließt man einen Nutzungsvertrag mit der Genossenschaft ab, der im Prinzip unkündbar ist, da es sich um ein „Wohnrecht“ jenseits des Mietrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs handelt. Dementsprechend braucht man sich auch keine Sorgen über Eigenbedarfskündigungen zu machen. Allerdings ist das Wohnrecht an die fortdauernde Mitgliedschaft in der Genossenschaft gekoppelt, und die kann vom Vorstand anhand der in der jeweiligen Satzung festgelegten Regularien auch gekündigt werden. Auch vor regulären Mieterhöhungen und Modernisierungsumlagen ist man in einer Genossenschaft keineswegs geschützt.
Natürlich bietet genossenschaftliches Wohnen auch Vorteile. Oftmals gibt es Gemeinschaftseinrichtungen und -angebote, Reparaturen und Instandsetzungsarbeiten verlaufen in der Regel reibungsloser als bei vielen privaten Vermietern. Und die gesetzlichen Spielräume für Mieterhöhungen und Umlagen wurden – auch aus purem Eigeninteresse der Genossenschaftler/innen – oftmals nicht ausgeschöpft.
Dennoch ist es nicht nachvollziehbar, die Genossenschaften per se als Teil des „gemeinwohlorientierten Wohnungsmarktsektors“ einzuordnen und deren massive Förderung als Teil der Lösung in der Krise der Wohnraumversorgung zu propagieren. Sowohl historisch als auch aktuell basiert ihr Wirken immer auf der Selbstorganisation bestimmter begrenzter Klientelen. So gab es in Berlin große Beamten-Wohnungsbauvereine, die ihre Häuser in besseren Vierteln und mit höheren architektonischen Standards und besserer Ausstattung errichteten. Viele wurzeln auch in eher ärmeren, kleinbürgerlichen Schichten. Deren Häuser befinden sich dementsprechend in seinerzeit eher unattraktiven Wohnlagen und sind deutlich einfacher ausgestaltet. In der DDR gab es dagegen die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG), in denen sich vor allem Beschäftigte volkseigener Betriebe und staatlicher Institutionen, wie etwa Universitäten, zusammenschlossen. Einige der AWG haben die Wende überlebt, wenn auch in deutlich modifizierter Form.               

                                   
Mittelstand als Zielgruppe
An der Mittelstandsorientierung der meisten Genossenschaften hat sich jedenfalls nichts geändert – im Gegenteil. In linken und „alternativen“ Kreisen wird die Genossenschaftsidee als Fluchtpunkt im entfesselten, deregulierten Wohnungsmarkt wahrgenommen, als zeitgemäße Form der Selbstorganisation und auch als Alternative zum individuellen Eigentumserwerb, da dieser  angesichts der explodierenden Preise auch für viele Besserverdienende in einer Boomstadt wie Berlin kaum noch zu realisieren ist. Das korrespondiert mit der neoliberalen Idee der „Entstaatlichung“, die längst von den Grünen und Teilen der Linken mit neuem Vokabular versehen adaptiert wurde.
Dabei kann ohnehin nur bedingt von einer „staatsfernen“ Selbstorganisation gesprochen werden. Die Entfaltung der Wohnungsbaugenossenschaften war untrennbar mit ihrer Finanzierung durch die Versicherungsanstalten und der Abschaffung der unbeschränkten Haftung ihrer Anteilseigner/innen für wirtschaftliche Verluste verbunden, beides ermöglicht durch das Genossenschaftsgesetz von 1889. Auch die meisten „modernen“ Genossenschaften hängen unmittelbar und mittelbar am öffentlichen Tropf. Sei es durch staatliche Zuschüsse beim Ankauf von Bestandshäusern, die bevorzugte Vergabe von Grundstücken, etwa durch eine Genossenschaftsquote bei Stadtentwicklungsgebieten, oder durch Einbeziehung in die verschiedenen Förderinstrumente des sozialen Wohnungsbaus. Und dies alles ohne über den unmittelbaren gesetzlichen Rahmen hinausgehende Verpflichtungen, was die Miethöhen und die Wohnungsvergabe an besonders benachteiligte Wohnungssuchende betrifft. So mussten sich etwa die kommunalen Wohnungsbauunternehmen in Vereinbarungen mit der Landesregierung zu bestimmten einkommensbezogenen Mietdeckelungen auch im Bestand verpflichten, wovon bei Genossenschaften keine Rede ist. Was aber nicht bedeutet, dass die Kommunalen der Schlüssel für die soziale Wohnraumvergabe sind. Denn rechtlich handelt es sich bei ihnen um Aktiengesellschaften und GmbHs, deren wirtschaftliches Agieren nicht unmittelbar dem Gemeinwohl unterworfen ist. So wurden sie besonders in der Zeit der rot-roten Landesregierung von 2002 bis 2011 rigoros zur Gewinnmaximierung für die „Haushaltskonsolidierung“ angehalten. Notwendig wäre daher kommunaler Wohnungsbau in unmittelbarer öffentlicher Trägerschaft.          
Jedenfalls sind Genossenschaften derzeit „Everybody´s Darlings“, weil auf diesem Wege der Rückzug und das Versagen des Staates bei der sozialen Wohnraumversorgung kaschiert und ideologisch begleitet werden kann. Dies geschieht mit unterschiedlichem Zungenschlag, aber gleichem Grundtenor. Es passt zu den erheblichen Zweifeln an der pauschalen „Gemeinwohlorientierung“ der Genossenschaften, dass ihr Berliner Dachverband zu den vehementesten und aggressivsten Gegnern des seit Ende Februar geltenden Berliner Mietendeckels gehört.


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