MieterEcho 312/Oktober 2005: Knast für Kunst?

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MieterEcho 312/Oktober 2005

 BERLIN

Knast für Kunst?

Ausstellung wirkt Kriminalisierung von Straßenkunst entgegen

Hermann Werle

Wer sich ein umfassendes Bild von Graffiti und Streetart, also Straßenkunst machen wollte, hatte von August bis Mitte Oktober reichlich Gelegenheit dazu. Das Berliner Magazin Backjumps veranstaltete mit "The Live Issue #2" nach 2003 das zweite Zusammentreffen von Straßenkünstler/innen aus aller Welt. Natürlich ließ es sich die Springer-Presse nicht nehmen, gegen die Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/ Bethanien zu hetzen, traf damit aber keineswegs den Geschmack der vielen tausend Besucher/innen.

Selten werden "die kulturellen, gesellschaftlichen und künstlerischen Dimensionen und Entwicklungen von Streetart reflektiert", heißt es in dem Programm der Veranstalter/innen, und so konnte die Ausstellung als Einladung verstanden werden, sich diesen Aspekten von Straßenkunst und Graffiti anzunähern und damit Vorurteile abzubauen. In Wien und vielen anderen Städten ist dies schon längst geschehen, wie Norbert Siegl vom Institut für Graffiti-Forschung feststellt: "Es wurde die Bedeutung des Graffiti-Writings als Bestandteil der internationalen Jugendkultur rechtzeitig anerkannt und mit genügend legalen Flächen dem Bedürfnis nach Ausdrucksmöglichkeiten nachgegeben."

Begrenztes Kulturverständnis

Weit davon entfernt ist die Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland, wo Initiativen wie "Nofitti" aus Berlin seit Jahren eine Verschärfung des Strafrechts zur Graffitibekämpfung fordern. Und das nicht ohne Erfolg, wie der im April 2005 abgehaltene "Nofitti-Kongress" zeigt. Zu diesem Anlass ließ Bundesinnenminister Otto Schily nächtens Hubschrauber aufsteigen, um mit Scheinwerfern und Wärmekameras auf Graffiti-Jagd zu gehen. Bayerns Justizministerin Beate Merk begrüßte dieses Vorgehen umgehend mit den Worten, dass beim Bundesinnenminister "der Jäger im Mann erwacht" sei, kritisierte aber zugleich "die jahrelange rechtspolitische Untätigkeit der Bundesregierung, durch die bis heute viele Schmierereien nicht strafbar" seien.

Überwachung und Kontrolle

Die zum 01.09.2005 erfolgte Verschärfung des Strafrechts, die bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, hält der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV) für ein "völlig untaugliches Mittel", welches "allein die weitere Kriminalisierung einer Straßen- und Jugendkultur" bewirke. Diese Kriminalpolitik setze sich "eine oberflächliche und wahrnehmbare Ordnung zum Ziel", sei damit aber nichts anderes als "symbolische Gesetzgebung", mit deren Hilfe ein Gefühl von Sicherheit verbreitet werden solle, "ohne sich mit den eigentlichen Problemen zu beschäftigen". Neben der symbolischen Politik, so der RAV, ginge es aber auch noch um etwas anderes: "um die Überwachung und Kontrolle von öffentlichen Räumen" und eine weitere Legitimation zum Eingreifen "gegenüber einer unbotmäßigen städtischen Protestkultur".

Entkriminalisierung fördern

Der "Live Issue #2" im Bethanien hat dazu beigetragen, eine differenziertere Auseinandersetzung über Graffiti und Straßenkunst zu führen und der Berliner Senat ist nun gefordert, sich nicht auf den wenigen für die Ausstellung zur Verfügung gestellten Fassaden auszuruhen. Es geht um die Entkriminalisierung dieser Form urbaner Subkultur und um "Initiativen wie 'Nofitti' schleunigst zu unterbinden und nicht auch noch zu fördern!", wie Norbert Siegl betont. Und wer dieser Tage offenen Auges durch Berlin spaziert, könnte beginnen, die Straßen auf neue Weise als Orte der Kommunikation und als frei zugängliche, permanent geöffnete Galerien zu begreifen. Nicht alles wird gefallen, aber viele Schmuckstücke und Denkanstöße gibt es allerorten zu entdecken.

Weitere Infos:

http://www.kunstraumkreuzberg.de

http://www.backjumps.org

http://www.kulturhof.org

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