MieterEcho 311/August 2005: Das Bethanien auf dem Weg nach "New Yorck"

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MieterEcho 311/August 2005

 BERLIN

Das Bethanien auf dem Weg nach "New Yorck"

Nach einem Duldungsvertrag mit den Besetzer/innen werden neue Visionen für den ehemaligen Krankenhauskomplex am Kreuzberger Mariannenplatz gesucht

Christoph Villinger

"Das Bethanien ist besetzt!" Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht Mitte Juni in Kreuzberg und Berlin. Im seit Anfang des Jahres leerstehenden Südflügel des Bethanien-Hauptgebäudes, dem ehemaligen Sozialamt, eröffneten die eine gute Woche zuvor geräumten Bewohner/innen des Hausprojekts Yorck59 ihr "New Yorck". Da es sich um ein bezirkseigenes Gebäude handelt, verbauten sie damit gleichzeitig den Lokalpolitiker/innen alle Ausreden von wegen "da können wir auch nichts machen". Außerdem sitzt tief im kollektiven Gedächtnis des Bezirks die eigentliche Hymne des Stadtteils: "Der Mariannenplatz war blau, soviel Bullen waren da ...", der Rauch-Haus-Song von Ton Steine Scherben.

So wollte keiner der Friedrichshain-Kreuzberger Politiker/innen die Verantwortung für eine Räumung übernehmen. Im Gegenteil: Baustadtrat Franz Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte schon am nächsten Tag gegenüber der Presse daran, dass das Bethanien überhaupt nur noch wegen der Hausbesetzungen in den 1970er Jahren stehe. Zuvor schon weigerte er sich gegenüber der Berliner Polizei, einen Räumungsantrag zu stellen. Die PDS reagierte zuerst verschnupft, erkannte dann aber schnell die politische Bedeutung der Besetzung. Zum einen als lokales Thema beim bevorstehenden Bundestagswahlkampf, zum anderen als Chance, noch einmal ganz neu über die geplante Privatisierung des Bethaniens nachzudenken (siehe MieterEcho Nr. 308).

Neue Bewohner/innen im Bethanien vorläufig geduldet

Von Bündnis 90/Die Grünen wurde in der Bezirksverordnetenversammlung der Antrag eingebracht, dass das Bezirksamt beauftragt wird, "bei den Ersatzangeboten für die Yorckstraße 59 den Seitenflügel des Bethanien als möglichen dauerhaften Ersatzstandort mit in die Prüfung einzubeziehen". Nur gegen den Widerstand von SPD und CDU ließ sich ein Duldungsvertrag für die Besetzer/innen durchsetzen. Gegen Bezahlung der extrem hohen warmen Betriebskosten von knapp drei Euro/ qm sowie einer so genannten Nutzungsentschädigung können die "Yorckies" erst mal im Sozialamt bleiben. In den letzten Wochen holten sie ihre seit der Räumung der Yorckstraße 59 in alle möglichen Keller und Dachböden verteilten Möbel nach und begannen, sich häuslich einzurichten. Sogar die ersten Kinder zogen nun wieder mit ihren Bezugspersonen ins besetzte Haus. Und in der bereits früher zum Hausprojekt gehörenden "Dru?zBar" werden erneut Cocktails gemixt, mit denen in der Hand sich die Besucher/innen auf der vor dem Gebäude liegenden Wiese verteilen. So gesehen bringt das Bethanien wenigstens einige Vorteile gegenüber dem früheren Hinterhofgebäude der Yorckstraße 59 in der Nähe der Yorckbrücken.

Doch allzu sesshaft dürfen die neuen Bewohner/innen des Bethaniens ohnehin nicht werden. Sie müssen sich weiter um die vom Liegenschaftsfonds angebotenen Ersatzobjekte im Bezirk kümmern. Dies sind leerstehende und stark renovierungsbedürftige Schulen in der Friedenstraße sowie in der Scharnweberstraße und eine ehemalige Poliklinik in der Löwenstraße.

Hohe Betriebskosten und großer Sanierungsbedarf

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg möchte das Bethanien nach wie vor an einen Investor verkaufen, doch ob es je einen solchen geben wird, steht in den Sternen. Mit dem derzeit letzten Interessenten, einer M & R Arend GmbH aus Bad Homburg, kommt seit einem Jahr kein Vertrag zustande. Angeblich weil statt um den vom Bezirk erhofften Verkaufserlös von zwei bis vier Mio. Euro inzwischen über öffentliche Zuschüsse verhandelt wird. Doch damit wäre man wieder bei der Ausgangssituation, weshalb der Bezirk überhaupt verkaufen will: die als zu hoch empfundenen Zuwendungen für die Heizkosten und sonstigen Betriebskosten, die das Gebäude für den Bezirkshaushalt als Fass ohne Boden erscheinen lässt. Seit drei Jahren sucht der Bezirk einen Käufer für das Bethanien, der das Gelände als öffentliche Kulturstätte entwickelt. Doch sowohl eine Genossenschaft, die mehrere Tagungszentren im Osten der Stadt betreibt, als auch eine im sozialen Bereich in Kreuzberg recht aktive Stiftung sprangen bald wieder ab. "Kapitalistisch" lässt sich der Komplex beim besten Willen nicht durchrechnen. Zu hoch sind nicht nur die Decken und damit die Heizkosten, sondern auch die Denkmalschutzauflagen und der Sanierungsbedarf sind enorm. Ebenfalls scheiterten in den letzten Monaten Versuche des Bezirks, eine Modeschule oder gar die Schauspielschule Ernst-Busch im Gebäude anzusiedeln.

"Vision fürs Bethanien"

Aus dieser Perspektive eröffnet die Besetzung einen neuen Blick aufs Bethanien. Bezirksbürgermeisterin Reinauer zeigt sich offen für Gespräche mit allen, die "eine Vision fürs Bethanien" entwickeln können. Ein alter Traum der Grünen ist z.B. Teile des Bezirksrathauses ins Bethanien zu verlegen. Im Sommer 2006 laufen nämlich die Mietverträge für den Standort in der Frankfurter Allee aus. Eine andere gewünschte Nutzung wäre ein breit getragenes alternatives Gesundheitszentrum. Hierfür wären die Räume nahezu ideal und würde an die ursprüngliche Bestimmung des Orts, ein Krankenhaus, anknüpfen. Aber können die derzeitigen Nutzer/innen mit im Boot sein? Sowohl die "Hochkultur" des Künstlerhauses Bethanien mit seinen Ateliers für Maler/innen aus Moskau und New York, als auch das Seniorencafé und die Kindertagesstätte. Und eben das Projekt Yorck59 mit seinen Bewohner/innen und der Antirassistischen Initiative sowie diversen anderen politischen Gruppen. Eben mitten in Kreuzberg ein "New Yorck".

New Yorck

"DruzBar" jeden 1. und 3. Montag ab 20 Uhr
im "New Yorck", Bethanien, Mariannenplatz 2, linker Seitenflügel
E-Mail: yorck59bleibt@gmx.net
http://www.yorck59.net
Weitere Infos auch: http://www.bethanien.de

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