MieterEcho
Nr. 290 - Mai 2002

Mieterprotest gegen Gentrifizierung in Prenzlauer Berg

 

 

Amanda Huron¹

In einer ruhigen Seitenstraße des Sanierungsgebiets Teutoburger Platz in Prenzlauer Berg, befindet sich das Gebäude Fehrbelliner Str. 6. Die Bewohner haben hier ein Selbsthilfeprojekt ins Leben gerufen, um sich vor den steigenden Mieten der Nachbarschaft zu schützen und um sich einen Raum zur Pflege von sozialen Beziehungen zu schaffen.

Den Bewohnern ist wichtig, dass dieses Haus als Beispiel einer baulichen Manifestation dient, dass man anders leben kann und nicht, wie ein Bewohner es ausdrückt, "alleine in der Kiste" wohnen muss. Die Art und Weise wie die Bewohner versuchen, ihre eigene Wohnsituation zu stabilisieren, kann anderen geringverdienenden Mietern, die von ähnlichen Prozessen der Gentrifizierung und Verdrängung bedroht sind, rund um den Globus als Beispiel dienen.

Gentrifizierung in post-sozialistischen Staaten
Gentrifizierung beschreibt die Bewegung von Kapital und Besserverdienenden hinein in städtische Quartiere, die zuvor dem Verfall preisgegeben waren. Diese Bewegungen führen zu steigenden Grund- und Bodenwerten und schließlich zur Verdrängung der Niedrigverdiener, die bereits in den Quartieren wohnten, als diese billig und vernachlässigt waren. Gentrifizierung gedeiht nur in einer Umgebung mit Bodenspekulation und ist damit ein unmittelbares Produkt des Kapitalismus. Städte in Transformationsgesellschaften sind besonders anfällig für Gentrifizierungsprozesse, denn auswärtige Investoren, gewöhnlich aus dem Westen, trachten schon länger danach, diese ehemals geschützten Märkte zu betreten. Deren spekulative Investitionen wurden intensi-viert durch die ursprünglich niedrigen Bodenwerte sowie durch die Aufregungen auf der veränderten politischen Bühne. Neil Smith beschreibt solche Gentrifizierungsprozesse nach der politischen und ökonomischen Transformation der ehemaligen sozialistischen Staaten am Beispiel von Budapest. Er schreibt in seinem Buch "The New Urban Frontier" über diese Stadt: "Insofern als sie (die Gentrifizierung) eine dramatische - vielleicht beispiellose - Verlagerung von minimaler zu maximaler Investition in einen neu entstehenden Bodenmarkt umfasst, bietet sie ein Versuchsfeld zur Untersuchung des Ringkampfs von Angebot und Nachfrage, den Kräften von Produktion und Konsumtion bei der Entstehung der Gentrifizierung."
Die Regierung des wiedervereinten Deutschland hat Mieter mit geringem Einkommen besser geschützt als die ungarische Regierung - unter anderem, weil sie es sich finanziell leisten konnte. Nichtsdestotrotz schreitet die Gentrifizierung auch im früheren Ostberlin voran, wenngleich in geringerem Tempo. Dieser Prozess ist aus den gleichen Gründen wie in Budapest relevant: Die Tatsache, dass Berlin sich mitten in einer "permanenten Finanzkrise" befindet, bedeutet unter anderem, dass die Stadt keine Mittel mehr aufbringen wird, um sozial schwache Mieter zu schützen. Infolge dessen könnte die Verdrängung einkommensschwacher Mieter in dem Maße anschwellen, wie sich die Haushaltskrise intensiviert. (Siehe hierzu auch den Beitrag "Startschuss für Mieterhöhungen?", S. 9, die Red.)

Gentrifizierung im Prenzlauer Berg

Viele Mieter in Prenzlauer Berg fürchten Verdrängung im Zuge von Gentrifizierung. Gentrifizierung ist ein ortspezifischer Prozess und muss zusammen mit den lokalen Bedingungen betrachtet werden. So erscheinen die Mieten im Bezirk Prenzlauer Berg günstig, wenn man sie damit vergleicht, was in anderen westlichen Gesellschaften wie z.B. den USA als erschwinglich gilt. Dort wird von Haushalten erwartet, dass sie 30 % ihres Einkommens für Wohnkosten aufbringen. Doch dieser Standard ist kulturell bestimmt und es gibt keinen Grund anzunehmen, er gelte weltweit. Oder wie ein Wissenschaftler, der in der DDR geboren wurde, ausstieß: "Die Leute hier fangen an, wahnwitzige Mieten zu zahlen: 30 % oder 40% ihres Einkommens!".
Im Zusammenhang mit der DDR betrachtet sind die steigenden Mieten im Prenzlauer Berg hoch, zumal die Einkommen mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten. Obwohl sich die Einkommensunterschiede seit der Wiedervereinigung langsam angleichen, verbleiben Ostdeutsche in einem deutlichen Einkommensnachteil gegenüber Westdeutschen. Wie ein ehemaliger Bewohner des Prenzlauer Berges sagt: "Wenn dein Einkommen zwar um 10 % steigt, aber dafür gleichzeitig deine Miete 30 % deines Einkommens ausmacht, beschneidet das deine Lebensqualität schon ganz erheblich!"
Selbst - nach westlichem Maßstab - geringe Mietsteigerungen können die Mieter darin beeinträchtigen, ein in ihren Augen "normales Leben" zu führen. Verdrängungsängste durch steigende Mieten sind daher wohlbegründet. Dazu kommt noch die Furcht vor kultureller Vertreibung, denn die Anwohner des Teutoburger Platzes sind besorgt, dass ihre Umgebung "schickimicki" wird. Irritiert sind die Alteingesessenen anscheinend von der Haltung der ZuzüglerInnen, dass man mit Geld eine bestimmte Lebensweise kaufen könne, wie z.B. eine Frau, die am Teutoburger Platz aufwuchs, berichtet: "Die Leute kommen von sonst woher, haben das Geld und bleiben hier. Sie versuchen, die Stimmung in Berlin aufzunehmen. Es gibt diese Stimmung nicht mehr, aber sie bezahlen Geld, um diese Stimmung zu bekommen. Es ist dumm!"

Das Beispiel "Fehre 6"
Selbsthilfehäuser befinden sich häufig im Eigentum der BewohnerInnen. Doch die Mieter der Fehrbelliner Str. 6 entschieden sich für einen anderen Weg: Sie gründeten einen Verein, "Fehre 6 e.V.", und schlossen einen Vertrag mit der Pfefferwerk gGmbH als Träger: Diese 1991 gegründete gemeinnützige "Gesellschaft zur Förderung von Stadtkultur" ersteigerte die Immobilie im Dezember 1997 bei einer Auktion, um sie langfristig der Gruppe zu günstigen Mieten zu überlassen. Wie sich herausstellt, sind die Bewohner mit ihrem Status als Nicht-Eigentümer sehr zufrieden, denn diese Nicht-Eigentümerschaft entwickelte sich zu einer wichtigen Komponente für den Erfolg des Hauses. Die Mitglieder von "Fehre 6" hatten zu viele Selbsthilfehäuser an Konflikten über Geld und Eigentum zerbrechen sehen. Zusätzlich sehen sie die Gefahr, dass unter der Bedingung des Wohnungseigentums einzelne EigentümerInnen ihre Wohnung an Meistbietende hätten veräußern können. Dadurch wäre dem Haus nicht nur der Charakter der Erschwinglichkeit verlustig gegangen, sondern es hätte auch noch jene Leute - Yuppies - ins Haus gebracht, die für die Bewohner den verachtenswerten Wandel der Nachbarschaft repräsentieren. Wie ein Bewohner zur Eigentumsfrage festhält:
"Wenn man seine Wohnung besitzt, besteht der große Fehler in dem Geld, das zwischen den Menschen steht. Zuvor, als sie noch ihre Wohnung gemietet hatten, hatten sie die Möglichkeit, nach Belieben zu kommen oder zu gehen. Nachdem sie das Haus gekauft hatten, ist jeder ein Kapitalist. Vielleicht wird ein Mensch unter Tausend sagen: ‚Ok, ich bin so freundlich, ich besitze etwas, das ich einfach anderen überlasse!' Aber die meisten, die etwas besitzen, sagen nur: ,Es ist meins!' Und wenn diese sich entscheiden umzuziehen, verkaufen sie es und machen dadurch Geld."

Learning by doing
Um den Erfolg dieses Hausprojektes zu sichern, mussten die BewohnerInnen lernen, wie man Fundamente herstellt - sowohl baulich wie sozial. Sie konnten nicht einfach der Blaupause eines anderen Hauses folgen, sondern mussten den gesamten Prozess selbst durchlaufen. Selbst eine scheinbar banale Entscheidung wie die über die Lampen an der Außenfassade führte auf den wöchentlichen Treffen zu stundenlangen Diskussionen. Diese Erfahrung ist notwendig, damit jedes Mitglied weiß, wie die Gruppe zu bestimmten Entscheidungsfindungen gelangt ist, dass es daran Teil hat und sowohl mit der sozialen als auch mit der baulichen Struktur vertraut und eng verwoben ist. Das heißt, dass dieses experimentell gewonnene Wissen schwerlich auf ein anderes Projekt übertragbar ist. Obwohl es viele Selbsthilfehäuser in Ostberlin und einige in der unmittelbaren Umgebung des Teutoburger Platz gibt, existiert kein Netzwerk zwischen ihnen. Wie ein Bewohner festhält: "Jedes Haus muss für sich selbst lernen. Ich weiß nicht wieso. Aber es ist immer dasselbe."

Das Haus und der Kiez
Der Kiez "Teutoburger Platz" ist für die BewohnerInnen des Hauses Fehrbelliner Str. 6 sehr wichtig. Es ist blanke Ironie, dass sie feststellen mussten, dass sie im Verlauf der Sanierung ihre sozialen Bindungen zum Kiez verloren haben. Die Bauarbeiten nahmen einen großen Teil der Energie in Anspruch, die die BewohnerInnen zuvor in andere Projekte außerhalb ihres Hauses gesteckt hatten. Vor der Sanierung diente das Erdgeschoss des Gebäudes, Galerie genannt, als Treffpunkt sowohl für die BewohnerInnen des Hauses selbst als auch für Freunde und Bekannte aus der Nachbarschaft. Hier fanden Veranstaltungen statt und auf dem Programm standen regelmäßig Café, Kino, Frühstück. Nachdem die Sanierungsmaßnahmen begonnen hatten, wurde die Galerie zunehmend weniger genutzt und der Kontakt zur Nachbarschaft schrumpfte. Ein Bewohner schildert diesen Prozess: "Du musstest deine Aktivitäten im Kiez eingrenzen. Ganz oben auf der Tagesordnung standen die Bauarbeiten. Wo blieb eigentlich deine Freizeit? Und du musst auch mal entspannen. Das soziale Engagement in der Nachbarschaft wurde also auf ein Minimum reduziert."
Nachdem die Kiezaktivitäten während der Sanierung eine Weile geschlummert haben, sind sich die BewohnerInnen nun aber einig, dass es wichtig ist, die Verbindung zum Kiez wieder zu beleben. Die Galerie ist mit dem Haus saniert worden und beginnt wieder, eine Rolle in der Nachbarschaft einzunehmen - jedoch nicht ohne Hürden, wie eine Bewohnerin erklärt: "Ich denke, dass es schwierig werden könnte, die Leute wieder hierher zu bekommen. Sie haben Vorurteile, weil es hier nun so schickimicki ausieht."
Baufällig, bedeckt mit Graffiti und Transparenten, zeigte sich der Charakter des Hauses bereits von außen. Aber nun sind es immer noch die BewohnerInnen, deren Lebensstil nicht dem mainstream entspricht und denen daran gelegen ist, das das Haus auch der Kommunikation nach außen dient.

Gentrifizierung als Individualisierungsprozess
Gentrifizierung erfolgt kleinteilig und zusammenhanglos, was z.B. einige Wissenschaftler dazu veranlasst, die Bedeutung dieses sozialen Wandels herunterzuspielen. Einzelne Bewohner einer gegebenen Nachbarschaft reagieren unterschiedlich auf die Veränderungen: Einige sind damit zufrieden, sich auszahlen zu lassen (und schaffen damit Platz für die Besserverdienenden); andere können im Quartier bleiben, weil sie z.B. ihre Wohnung besitzen oder der Mietpreis gebunden ist. Sie genießen oft die Vorteile der Aufwertung ihres Quartiers mit verbesserter öffentlicher Dienstleistung, mehr Arbeitsplätzen, einer größeren Auswahl von Konsumgütern in den Geschäften und - für die Wohnungseigentümer - eines gesteigerten Marktwerts. Andere indes sind verstimmt über den kulturellen Wandel, der ihre Nachbarschaft zertrümmert: Das Verschwinden von Kleingewerbe, das die Miete nicht mehr aufbringen kann, das Entstehen von neuen Läden mit einem Warenangebot, das unbezahlbar ist, der Wegzug von Freunden, die nicht in gesicherten Mietverhältnissen lebten und die vielen kulturellen Reibungspunkte zwischen alten und neuen Bewohnern.
In den Nachbarschaften des ehemaligen Ostberlin wird deutlich, wie Gentrifizierung als individualisierende Macht auftritt: In Prenzlauer Berg leeren die Hausbesitzer Gebäude, indem sie einen Mieter nach dem anderem auskaufen. Infolge dessen verhandeln die verbleiben Mieter mit dem Eigentümer nicht als Hausgemeinschaft, sondern als Einzelne - mit durchwachsenem Erfolg. Mit den Worten eines Mieters: "Es war eine raffinierte Art, Hausgemeinschaften zu zersplittern: Biete ihnen einfach Geld an, damit sie verschwinden. Jede Menge Arbeitsloser nahm das Geld und verschwand, denn für sie war es so einfacher. Einfach das Geld nehmen! In einem Haus mit vielleicht zehn Familien, nehmen sechs das Angebot an. Der Vermieter stellt ein Ultimatum und die vier verbleibenden Familien geben auf. Eine Sache war die Struktur, das Fehlen von Solidarität, aber eine andere Sache waren die ignoranten Leute: Sie waren nicht in der Laune zusammenzubleiben und zu kämpfen"
Das Verhalten der Mieter gegenüber den Bedrohungen durch den ökonomischen und kulturellen Wandel ist auf zwei Arten individualisiert worden (wenn man das Haus als individuelles Projekt betrachtet):
Erstens durch die Wahl, an einem Selbsthilfeprogramm teilzunehmen. Dadurch dass es einigen Besetzern half und anderen nicht, hatte das Selbsthilfeprogramm zur Zersplitterung der Besetzerbewegung beigetragen. Die sich in Selbsthilfe befindenden Exbesetzer haben schweißtreibend ihre Muskelhypothek abzuleisten und ziehen sich demzufolge (wenngleich evtl. nur vorübergehend) aus der Öffentlichkeit zurück. Weil Selbsthilfeprogramme Menschen veranlassen, sich um sich selbst zu kümmern, können sie einen reichlich individualisierenden Effekt haben und im Wesentlichen konservativ wirken. Wie Steven Katz und Margit Mayer in Bezug auf die Bundesdeutsche Hausbesetzerbewegung im Jahr 1984 festgehalten haben: "In der gegenwärtigen Krise des Sozialstaates wird die Rückkehr zum Individuum allerorts als konservative Strategie der Reprivatisierung aufs Schild gehoben".
Zweitens wirkt die Verhinderung des Wissenstransfers individualisierend: Es scheint, dass jede Gruppe alleine durch den gesamten Lern- und Aufbauprozess gehen muss, um erfolgreich zu sein. Jedes Haus und jede Gruppe ist verschieden und nur ein geringer Anteil kann von anderen Gruppen gelernt werden.

Erfolg einer individuellen Antwort
Weltweit richtet sich die meiste Aktivität gegen Verdrängung in Gentrifizierungsquartieren darauf, soziale Bewegungen zu initiieren und Mieter in großem Maßstab zu mobilisieren. Wenn die Vereinzelung von Mietern dass Problem ist, so liegt die Lösung gemäß vieler Theoretiker und Aktivisten in kollektiven Aktionen. Aber das Beispiel der Fehrbelliner Str. 6 lehrt uns etwas anderes. Nämlich dass tatsächlich ein individualisiertes Verhalten das Effektivste sein kann. Da ein einzelnes Gebäude Heim(at) für eine kleine Gruppe von Personen ist, können sie flexibel operieren, Entscheidungen gruppengerecht treffen und eine Struktur schaffen, die ihre Stärke aus der Basis vertrauensvoller Beziehungen bezieht. Es mag immer noch Hoffnung für eine breite Mieterbewegung geben. Aber die Fehrbelliner Str. 6 lehrt, dass unter der Bedingung des individualisierenden Gentrifizierungsprozesses die Gegenmobilisierung auf Basis eines Hauses ein kleinmaßstäblicher aber effektiver Weg ist, um sich gegen die Verdrängung durch Gentrifizierung zu wehren. Für einkommensschwache Mieter in Prenzlauer Berg und auf der ganzen Welt, besteht die Herausforderung darin, wie sie diesen kleinen Erfolg für sich selbst wiederholen können. n

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